: „Dann packen wir eben wieder Kisten“
Einst war die GSW eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft. Das klamme Berlin verkaufte sie an dreiUS-Finanzfirmen, die ihr Geld mit Verkauf und Verwertung von Immobilien verdienen. Eine Folge sind steigende Mieten
VON TINA VEIHELMANN
Die Siedlung „Grüne Stadt“ in der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg ist tatsächlich grün. Zwanziger-Jahre-Bauten im Karree gebaut, angeschmuddelt, im Innenhof stehen Gras und Bäume. Es ist kalt, ein junger Mann buckelt ein Bündel Kohlen. Ein anderer schleppt einen Wohnzimmertisch aus dem Treppenhaus. Ein kleines Mädchen trabt neben ihm her. Er hievt eine Stehlampe. „Wir ziehen weg“, sagt der Vater und setzt kurz ab. „Mietsteigerung um ein Drittel, hab’s ausgerechnet, geht nich. Wer in Lohn und Brot steht, kann sich das nicht leisten. Bei wem es das Amt übernimmt – ist was anderes –, aber wir müssen weg.“ Er klappt die Kofferraumtür seines Kombi zu, das Tischchen und die Lampe, Decken, eine Zimmerpflanze, alles ist verstaut. Das Mädchen sagt, sie hätten gerne hier gewohnt. Sie steigen ein, der Vater startet das Auto.
Die Mieter der „Grünen Stadt“ eint eins: Sie besitzen wenig Geld. Sie sagen, wem der Putz hier zu grau ist, wer es schicker will, muss hier nicht wohnen. Aber sie haben sich ihr Leben so eingerichtet, dass es klappt – mit dieser Miete. Es sind Rentner, die 800 Euro Rente bekommen, oder Sigi, der Koch mit 900 Euro im Monat, oder Britta, Freelancerin. Die Mieten liegen bei rund drei Euro pro Quadratmeter, netto kalt. Britta sagt: „Nein, wir landen nicht auf der Straße, Leute wie wir ziehen nur öfter um. In ein Haus, das noch nicht verkauft, eine Wohnung, die noch nicht teuer saniert ist. Wenn wieder ein Baugerüst vorm Haus steht, packen wir wieder Kisten.“
Sigi sagt: „Kommt gar nicht in die Tüte. In Prenzlauer Berg finde ich keine Wohnung mehr. Ich lasse die gar nicht erst rein.“ Wer ist die? „Die Amis“, sagt Sigi. Das Haus gehört der GSW, und die gehört jetzt den Amis.
Sigi spricht vom Verkauf der „Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft“ im vergangenen Jahr. Es war die größte der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Berlins, ihr Verkauf war umstritten, seit Mitte der Neunzigerjahre angedacht, im Jahr 2000 beschlossen, im Mai 2004 umgesetzt. Es war, als wolle man eine heilige Kuh schlachten, das Flaggschiff der kommunalen Wohnungswirtschaft versenken, damit 405 Millionen Euro in die Landeskasse kommen. Eigentümerin laut Grundbuch bleibt die GSW, aber das ist eine Formalie. Denn 90 Prozent der Firmenanteile halten nun die amerikanischen Finanzunternehmen Cerberus, Whitehall Fonds und Goldman Sachs, deren Kerngeschäft der Verkauf und die Verwertung von Immobilien ist.
Die Folgen waren abzusehen: Als Erstes verkaufte die GSW etwa 1.500 Wohnungen am Grazer Damm an das Kölner Immobilienunternehmen Vivacon, das die Wohnungen seinerseits an „Convert Immobilien Invest“ weiterveräußerte. Umgehend kündigte der neue Eigentümer eine umfassende Sanierung und die Umwandlung der Mietwohnungen in Eigentumswohnungen an. Vorkaufsrecht haben die Mieter. Jene aber sind meist Rentner oder leben von Hartz IV.
Als Nächstes verkündet die GSW den Verkauf ihrer Firmenzentrale in der Kochstraße für 60 Millionen Euro – um die eigenen Firmenräume für zunächst zehn Jahre zurückzumieten. „Sale and Lease Back“ heißen solche Geschäfte. Die nächsten Verkäufe stehen bereits ins Haus. Im Januar 2006 werden 5.000 weitere Wohnungen im Krankenhausviertel in Pankow und in der Weißen Stadt in Reinickendorf in den Besitz der HSH Nordbank in Hamburg übergehen.
Nein, nein – die GSW-Mieter würden nicht schutzlos den Verwertungsinteressen ausgeliefert, beteuert GSW-Sprecherin Corinna Kaspar. Für die Mieter bleibe alles wie gehabt. Die Verwaltung aller Häuser behalte für zehn Jahre mindestens die altbekannte GSW. Es gelte ein umfassender Mieterschutz. Der erweist sich letztlich jedoch als nicht mehr als das geltende Mietrecht. Auch wer von einem „Ausverkauf“ der Wohnungen spreche, malt laut GSW-Sprecherin den Teufel an die Wand. Die Unternehmensstrategie, so Kaspar, beschränke sich keineswegs auf den Verkauf von Beständen – es könnten auch Immobilien angekauft werden. Als etwa die öffentliche Wohnungsbaugesellschaft der BVG an den Mann gebracht werden sollte, befand sich die GSW unter den Bietern.
„Die Situation erinnert mich an ‚Tanz der Vampire‘ von Roman Polanski“, sagte Christian Ude, Münchner Oberbürgermeister und Präsident des deutschen Städtetages, bei einem Kongress des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) vor wenigen Tagen. „Da sitzen der liebenswerte Professor, sein Gehilfe und eine junge Frau jubelnd auf einem Schlitten, mit dem sie den Vampiren entkommen, und plötzlich wachsen der Frau selbst Vampirzähne.“ In allen deutschen Städten zeichne sich der Trend ab, dass internationale Finanzinvestoren kommunale Bestände aufkauften, so Ude.
Heuschrecken nennt er sie auch – wie die biblische Plage. Und allerorten würde Sozialverträglichkeit versprochen, von bekanntermaßen privatwirtschaftlich ausgerichteten Firmen, die ihre Großeinkäufe bis zu 90 Prozent fremd finanzierten und ihren Kapitalgebern die zugesicherten Renditen erbringen müssen. Trotz Finanznot der Kommunen, so Ude, müsse man die Zügel in der Hand behalten und das Tafelsilber in der Schublade.
Gerade ein Blick auf die Ereignisse in Paris zeige doch, wie wichtig die Instrumente zur sozialen Durchmischung seien, die so etwas wie die segregierten Banlieues am Stadtrand verhinderten. Selten wurde bei einem GdW-Kongress so leidenschaftlich über die Möglichkeiten der öffentlichen Wohnungswirtschaft diskutiert. Und selten so klar Kritik geübt.
In der „Grünen Stadt“ wird es derweilen Abend. Ein Pärchen steht trotz der Kälte am Klettergerüst und trinkt Bier. „Man muss diesen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften auch keinen Heiligenschein aufsetzen“, meint Sigi. Er kann sich auch noch an die „Baufilzgeschichten“ aus den Siebziger- und Achtzigerjahren erinnern. Da ging es genauso immer um die öffentliche Wohnungswirtschaft. Sigi sagt:„Aber besser isses, bei denen zu sein, als an die Amis verkauft zu werden.“