: Zöllners großer Coup
SCHULREFORM Der Schulausschuss beschließt die neue Sekundarschule – gegen die Stimmen der Oppositionsparteien. Deren zig Änderungsanträge lehnt Rot-Rot samt und sonders ab
STEFFEN ZILLICH, BILDUNGSEXPERTE DER LINKSFRAKTION
VON STEFAN ALBERTI
Berlin hat faktisch eine neue Schulform: die Sekundarschule. Juristisch gesehen muss nächste Woche noch das Plenum des Abgeordnetenhauses zustimmen. Aber das gilt als Formalie, seit der Schulausschuss am Donnerstag dem Reformvorschlag von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) mit den Stimmen der rot-roten Koalition folgte. CDU und FDP votierten dagegen, die Grünen enthielten sich. So werden Haupt-, Real- und Gesamtschulen in der Sekundarschule aufgehen, der künftig einzigen Oberschule neben dem Gymnasium. Eine Ausnahme bildet der Modellversuch der Gemeinschaftsschule, in der Schüler von der 1. bis 10. Klasse gemeinsam lernen.
Möglichst schon zum nächsten Schuljahr 2010/2011 sollen alle geplanten 105 Sekundarschulen ihren Betrieb aufnehmen. CDU und FDP begründeten ihr Nein unter anderem mit dem Tempo der Reform. Die FDP-Bildungsexpertin Mieke Senftleben konnte sich zwar auch nicht mit einem alternativen Gesetzentwurf der Union anfreunden, der am dreigliedrigen Schulsystem festhält – „wir wissen, dass Vielgliedrigkeit nicht das Nonplusultraultra ist“. Aber das neue System werde „oktroyiert“, von oben aufgedrückt.
Zudem vermisste Senftleben – klassisch liberales Anliegen – mehr Entscheidungsfreiheit: „Die Berliner Schule ist weit von Eigenverantwortung entfernt.“ Außerdem sah sie in der neuen Struktur das Gymnasium geschwächt: Die Sekundarschule habe kleinere Klassen, mehr Personal und arbeite als Ganztagsschule. Bildungssenator Zöllner sah das ganz anders und sprach von einem „Qualitätssprung“ bei den künftigen Freiräumen der Schulen.
So weit die Meinungen zur künftigen Gestalt der Berliner Schullandschaft auseinandergingen, so einig waren sich die Fraktionen in der Bedeutung des Beschlusses. Dass die SPD-Abgeordnete Felicitas Tesch das Projekt ihres Parteifreunds Zöllner einen „Meilenstein in der Berliner Bildungspolitik“ nannte, war noch am ehesten zu erwarten. Aber auch der oppositionelle CDU-Bildungsexperte Sascha Steuer sah „die größte Reform des Jahrzehnts“.
Der Grünen-Politiker Özcan Mutlu ging sogar so weit, für die Diskussion ein Wortprotokoll zu beantragen – „das ist ja auch wichtig für die Nachwelt“. Angesichts dessen sei festgehalten, dass der Bildungsausschuss die Reform um exakt 15.31 Uhr verabschiedete, nach gut dreiviertelstündiger Schlussaussprache und doppelt so langer Abstimmungsprozedur.
Mutlu hätte der Reform gerne ebenfalls zugestimmt. Immerhin habe er noch vor wenigen Jahren nicht gedacht, „dass wir mal so weit kommen“. Dass die Grünen sich bei der Abstimmung enthielten, liegt vor allem an zwei Regelungen für das Gymnasium. SPD und Linkspartei mochten auch am Donnerstag nicht davon abrücken, dass Kinder dort sitzen bleiben können und ein Probejahr durchlaufen. Mutlu hatte beides seit Monaten vergeblich kritisiert.
Noch viel weniger konnte sich die CDU-Fraktion durchsetzen. Über 40 Änderungsanträge stellten die Christdemokraten zum Gesetz über die Sekundarschule, und ebenso viele Mal lehnte die rot-rote Koalition ab. Das war allerdings zu erwarten, weil die Union an einem dreigliedrigen, lediglich umetikettierten Schulsystem festhält: Neben dem Gymnasium würde es nach ihren Vorstellungen einen praktischen und einen mittleren Bildungsgang geben. „Sie jagen der Fiktion von homogenen Lerngruppen nach“, sagte Steffen Zillich, Bildungsexperte der Linksfraktion. „Diesen Weg halten wir für falsch.“
Doch auch weit weniger ideologisch gefärbte CDU-Anträge fielen durch – beispielsweise der Vorschlag, dass in Schulkonferenzen auch nichtpädagogische Mitarbeiter mit beratender Stimme vertreten sein sollen. Selbst eine Anregung zum Inhaltsverzeichnis des Schulgesetzes lehnte Rot-Rot ab. Ausschuss-Chefin Christa Müller (SPD) kommentierte zudem eine beharrliche sprachliche Kritik von CDU-Mann Steuer mit dem Hinweis, sie kenne da ein Restaurant namens „Der Krümelspalter“.
Steuer wirkte trotz über 40 Abstimmungsniederlagen binnen eineinhalb Stunden auch nach Sitzungsende noch gefasst. „Ich bin seit 2001 in der Opposition, das habe ich nicht anders erwartet“, sagte er der taz. Was Müllers Krümelspalter-Spruch angehe: „Da muss jede Vorsitzende selbst entscheiden, wie parteiisch sie die Sitzung leitet.“