: Ein Weiser mit Karacho
Der Kabarettist Heinrich Pachl über den Weggang eines großen, inspirierenden Kollegen: Hanns Dieter Hüsch
Hanns Dieter Hüsch war schon lange verstummt. Leider. Jetzt ist er ganz heimgegangen. Es ist ein langer Abschied geworden, und sein Glaube, zu dem er sich immer bekannte, wird ihm in seinen letzten Jahren geholfen haben. Denn aufhören wollte er nie. Er war ein Besessener. Ein Wanderer, ein Prediger, ein Komödiant, ein Listiger, ein Lieber, ein Freund, ein Kugelblitz, ein Weiser mit 10.000 Volt Spannung.
Überlegt man, wie wahnwitzig lange er Kabarett machte, ist man fassungslos vor dieser Weite. Und dass er doch immer weiter machen wollte in einer Mischung aus Trieb und ungebändigter Lust, mit einer unglaublichen Energie, mit der er auch die ersten Angriffe seiner Krankheit zurückschlagen konnte. Ein Satiriker, der es geschafft hat, einen großen Bogen über drei, vier Generationen von Kabarettisten zu schlagen. Wem gelang das sonst? Dieter Hildebrand noch, mit ihm war er ja auch sehr befreundet.
Imposant ist Hüsch also auch als Zeitzeuge, dies schon ab der unmittelbaren Nachkriegszeit. Er hat nicht nur Kabarett-Geschichte, sondern mit Kabarett Geschichte geschrieben. Von den Trümmerlandschaften nach ‘45 über den Muff der Adenauer-Zeit inklusive Remilitarisierung und Wiederbewaffnung zu den Aufbrüchen der 60er Jahre, an denen er ja vehement mitgewirkt hat, um dann aber von Zumutungen und auch Verletzungen der 68er nicht verschont zu bleiben.
Aber dann ein neuer Anfang und Aufbruch. Hanns Dieter Hüsch hat gezeigt, geschrieben, gespielt und beschrieben, wie man überlebt und weiterlebt, wie man die vielen mittlerweile längst geschichtlichen Umbrüche verarbeitet, bearbeitet – und beeinflusst. Mit einer Vielfalt künstlerischer Mittel: Kommentar, Attacke, ironisches Anspiel, auch verletzte Abwendung und lyrische Schwebezustände. Und dann vor allem irgendwann der Aufbau eines autonomen Kosmos‘ – der Welt von Hagenbuch.
Deren Wahnwitz und Irrsinn war nun wirklich von keiner flauen, dummen oder katastrophalen Wirklichkeit mehr zu beeinträchtigen oder einzuschüchtern. Und mit Hagenbuch war dann auch noch lange kein Ende. Hanns Dieter Hüsch hat sich immer wieder neu suchen und positionieren müssen und auch wollen, er hat bewiesen und vorgeführt, wie man man sich selbst treu wird und dadurch bleiben kann. Damit waren seine Auftritte wie Medizin gegen Infektionen aus beiden Richtungen, sowohl gegen Resignation als auch hilflose Wut und hektisch-ratlose Aufregung.
Also ein Weiser mit Karacho. Seine Stilmittel waren entsprechend differenziert. Wer hat es schon wie er hingekriegt, mit soviel Sprechtempo solange die Beobachtung über einem Punkt, einer Person, einer Situation kreisen zu lassen? Als Weltbürger hat er dabei die wesentlichen Erkenntniskräfte aus seiner Herkunft und Heimat, der Welt am Niederrhein, gezogen, ohne jemals in Gefahr provinzieller Heimatverehrung zu geraten. Im Gegenteil hat er verdeutlicht, wie provinziell die große Welt war, und um wie viel weiter in Verständnis und Exstase seine schwarzen Schafe lebten.
Mit dieser Kombination von Stilmitteln und Denkungsart hat er den Reichtum seiner Schaffenskraft schon früh zu Lebzeiten weitervererbt. Generationen von Kabarettisten waren durch ihn inspiriert und ermutigt, und man hat lange bei vielen den Ton des Urhebers herausgehört. Was ihn gefreut hat. Was auch uns hilft, den Schmerz über seinen Weggang besser zu bewältigen. Und so süchtig wir nach dem Erlebnis seiner Auftritte waren, so sehr ist er schon seit langem Teil von uns geworden. Und da bleibt er – da kann sein Tod so viel gar nicht mehr ändern.
Er ist zwar nicht mehr da, aber weg ist er bei weitem nicht. Er ruhe sanft, denn im Satirikerhimmel wird er nicht viel Ruhe finden, wenn Wolfgang Neuss, Kay und Lore Lorentz, Matthias Beltz und all die anderen dort oben ihn erst mal zur Begrüßung auf die Schippe nehmen. Tschö, Hanns Dieter! HEINRICH PACHL