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Archiv-Artikel

Wie kommt Leben in die Niederlausitz?

Es gibt kaum Arbeitsplätze in Guben. Viele verlassen die Stadt. Das wirft auch die Frage auf, wie weit die Stadtoberen bei der Suche nach Investoren und neuen Nutzern für leer stehende Bauten einstiger Industriekultur gehen dürfen

Bei seiner Reise rund um Deutschland ist der Schriftsteller Wolfgang Büscher in Guben an „finis Germaniae“ gestoßen, ans Ende Deutschlands. „Dann kam ich nach Guben, und Guben schlug alles, was ich kannte“, schreibt Büscher in „Deutschland, eine Reise“. „Köln, Kiel, Kassel waren ausgelöscht, und doch stand da etwas, das Köln, Kiel, Kassel hieß und mit einigem guten Willen wie Köln, Kiel, Kassel aussah. Das war hier anders. Es war so, dass es Guben nicht gab.“

Der Zustand der Abwesenheit, der Büscher in Guben schreckte, hat viele Gesichter: die Abwesenheit von Menschen, von Arbeit, von intakten Gebäuden, von Zukunft. Es ist eine Abwesenheit, wie sie viele Städte in Ostdeutschland ausstrahlen und nicht nur am „Ende Deutschlands“. Doch hier ist sie besonders offensichtlich, weil auf der anderen Seite der Grenze etwas Neues beginnt, und das hat vor allem mit Präsenz zu tun. Es ist die Präsenz der Händler, der Basare, der jungen Familien und damit einer Zukunft, die zwar alles andere ist als rosig, aber immerhin ein Versprechen.

Es ist dieses Setting an der Grenze, auf das Gunther von Hagens traf, als er dem Gubener Bürgermeister Arbeitsplätze versprach, die Nutzung eines abrissbedrohten Industriedenkmals und damit ein bisschen mehr Zukunft. Und es war der Zustand der Abwesenheit, der den Vorstoß des Anatomen zu solcher Wucht verhalf. Fortan steht in Guben die Frage auf der Tagesordnung: Darf man Städte und Gebäude mit Leichenteilen zu neuem Leben erwecken?

Eine Institution, die sich mit Fragen wie diesen beschäftigt, ist die Internationale Bauausstellung „Fürst-Pückler-Land“ (IBA). Angetreten, das industrielle Erbe in der Niederlausitz einer tragfähigen und nachhaltigen Nachnutzung zuzuführen, ist die IBA auch mit zwei Projekten in Guben und dem polnischen Gubin.

Eines davon ist der Versuch, die Gebäude der Gubener Wolle zu erhalten. Immerhin ist das leer stehende Fabrikensemble am Neißeufer nicht nur Erinnerung an eine Zeit, in der Guben einmal ein Zentrum der deutschen Textilindustrie war. Es ist – in Verbindung mit den so genannten Neißeterrassen – auch ein wichtiger Baustein für einen neuen Brückenschlag nach Gubin. „Denn eines“, sagt IBA-Sprecher Rainer Müller, „ist klar: Eine Entwicklung beider Städte kann, auch wegen der Fördermittel der EU, nur gemeinsam erfolgen.“

Entsprechend zurückhaltend steht Müller auch dem Vorhaben Gunther von Hagens gegenüber. „Der IBA ist in jedem Falle an einer guten, atmosphärisch unbelasteten Zusammenarbeit mit allen Partnern in Guben und Gubin gelegen“, sagt Müller. „Die Idee einer Plastinationswerkstatt sehen wir derzeit skeptisch.“

Dies ist umso mehr von Bedeutung, weil gerade Gubens Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner kein besonders gutes Verhältnis zur polnischen Nachbarstadt nachgesagt wird. Angetreten mit dem Wahlversprechen, keine polnischen, sondern einzig Gubener Interessen zu vertreten, hat der selbstherrlich agierende Hübner die polnischen Kollegen mehr als einmal düpiert. Eine Plastinationswerkstatt gegen den erklärten Willen der Gubiner wäre allerdings der Höhepunkt der Alleingänge – und das Gegenteil der grenzüberschreitenden Stadtentwicklung, wie sie die IBA im Sinn hat.

Was aber, wenn es tatsächlich keine andere Möglichkeit mehr gibt, die Gubener Wolle zu retten? Mit Nachnutzungskonzepten und Wirtschaftlichkeitsberechnungen beschäftigt sich auch das Institut für neue Industriekultur (Inik) in Forst, das gerade erst mit einem Preis für Existenzgründer ausgezeichnet wurde. Inik-Geschäftsführer Lars Scharnholz zweifelt an der langfristigen Wirtschaftlichkeit einer Plastinationsstätte in Guben. „Eine Voraussetzung für den Erfolg einer Investition ist auch die Abstimmung mit allen Beteiligten“, sagt Scharnholz. Es gebe schließlich genügend Beispiele für Vorhaben, die zunächst große Erwartungen weckten, hinterher aber scheiterten. Scharnholz’ Ratschlag: „Mehr Zeit in die Planung investieren.“ Das gelte nicht nur im Westen, sondern auch im strukturschwachen Ostdeutschland.

Es sprechen also nicht nur ethische, sondern auch wirtschaftliche Gründe gegen die Produktion von plastinierten Körperscheiben in der Gubener Wolle. Insofern gibt es gute Gründe anzunehmen, dass ein Bürgerentscheid in Guben negativ ausfallen wird. Ein Gutes aber hat die aufgeregte Diskussion um die 200 Arbeitsplätze in der Neißestadt. Für einen Moment lässt sie vergessen, was Wolfgang Büscher bei seiner Deutschlandreise vorgefunden hat – die Abwesenheit nicht nur von Menschen, sondern auch von ihrem Selbstgespräch. Dank Hagens ist der Bürgersinn in die Niederlausitz zurückgekehrt. Uwe Rada