: Kein Grund, traurig zu sein
LITERATUR Depressionen sind kein Phänomen des 21. Jahrhunderts. Jedoch werden sie heute zunehmend öffentlich thematisiert, auch in den aktuellen Romanen von Kathrin Weßling und Sebastian Schlösser
Jede(r) Fünfte erkrankt einmal in seinem Leben an einer Depression. Kathrin Weßling und Sebastian Schlösser haben ihre Krankheitserfahrungen in Romanen festgehalten, aus denen sie bei der Veranstaltung „Von Meisendoktoren und Monstern im Kopf“ lesen werden. Anschließend gibt es eine Podiumsdiskussion über die Volkskrankheit mit Autoren und Fachexperten. Die Lesung ist ein gemeinsames Projekt vom Dialogforum Depression, dem Berliner Bündnis gegen Depression, der Deutschen DepressionsLiga, Freunde fürs Leben e.V. und dem Selbsthilfenetzwerk Depression und Ängste Berlin-Brandenburg.
■ Georg Büchner Buchladen, Wörther Str. 16, Donnerstag, 19.30 Uhr, Eintritt frei
VON HENGAME YAGHOOBIFARAH
Ausgebrannt, manisch, antriebslos: Symptome für psychische Störungen kann die Leistungsgesellschaft zur Genüge vorweisen. Wer in Berlin nach einer geeigneten Anlaufstelle sucht, der wird schnell fündig. Von der Telefonseelsorge bis hin zur Selbsthilfegruppe gibt es unzählige Formate, die individuellen Bedürfnissen gerecht werden wollen. Ob für Studierende, Frauen, Jugendliche oder Menschen mit Migrationshintergrund, ob für schwerwiegende Depressionen oder stressbedingte Schlafstörungen, für jede Art mentaler Belastungen gibt es das passende Angebot.
Dass die Gesundheit auch seelisch nachlassen kann, weiß man nicht erst seit gestern. Auch wenn die öffentliche Thematisierung als Phänomen des 21. Jahrhunderts gilt, gab es schon früher die Krankheitsbewältigung im medialen Diskurs. Schon vor 50 Jahren kämpften ProtagonistInnen in Klassikern wie Sylvia Plath’ „Die Glasglocke“ und J. D. Salingers „Der Fänger im Roggen“ mit Depressionen. Es handelt sich dabei um junge Menschen, die ihren Zeitgeist durch sämtliche Jahrzehnte transportierten und trotzdem zeitlos bleiben. Gleichzeitig dienen sie den AutorInnen als Spiegel ihrer selbst und der ihnen nachgesagten Erkrankung. Obwohl es diese bewährten exemplarischen Werke der Weltliteratur gibt, kommt es einem so vor, als sei die Krankheitsbewältigung im öffentlichen Raum momentan präsenter denn je. In Form von Dossiers, Ratgebern und Reportagen wird man tagtäglich über Burn-out, Depressionen und Co. aufgeklärt. So auch in aktuellen Romanen.
Im Jahr 2010 startete die Autorin Kathrin Weßling ihren Blog Drueberleben und fasste das, was in ihrem Kopf tobte, anschaulich in Worte. Ende letzten Jahres erschien im Goldmann-Verlag ihr Debüt „Drüberleben – Depressionen sind doch kein Grund, traurig zu sein“. Aus der Sicht der 24-jährigen Ida schreibt Weßling über den Psychiatrie-Aufenthalt einer jungen Frau mit der Diagnose „schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome“, indem sie den poetischen Stil ihres Blogs aufgreift. Die Einblicke sind so überwältigend ehrlich, dass Idas Geschichte zwangsläufig einen autobiografischen Teil Weßlings vermuten lässt.
Noch offener geht der Theaterregisseur Sebastian Schlösser mit seiner bipolaren Störung um. Während seines Klinikaufenthalts schrieb er Briefe an seinen achtjährigen Sohn Matz und klärte ihn über seine manische Depression auf, von der drogenlastigen Jugend über die Einweisung und bis hin zur Entlassung. In seinem Buch „Lieber Matz, dein Papa hat ’ne Meise“ macht er diese Briefesammlung und mit ihr ein Stück Intimsphäre für die Öffentlichkeit zugänglich.
Dieser Freimut ist nicht immer im Sinne der Angehörigen. Aus den Augen der fiktiven Elisabeth Kiehl berichtet Charlotte Roche 2011 in ihrem zweiten Roman „Schoßgebete“ von der Bewältigung eines Traumas. Dieses resultierte aus einem Autounfall, der ihren Brüdern das Leben kostete. Wie schon in „Feuchtgebiete“ verweist die Geschichte auf autobiografische Ereignisse. Ihr Stiefvater wirft ihr für das öffentliche Thematisieren dieses Familienunglücks Skrupellosigkeit vor, zumal sie von diesem „Seelenstriptease“ stark profitierte.
Doch wovon sollen SchriftstellerInnen sonst schreiben, wenn nicht von sich selbst? Nicht nur wirkt das schriftliche Ordnen der Gedanken für den Schreibenden selbst therapeutisch, auch ist der offene Umgang mit psychischen Krankheiten eine Hilfestellung für LeserInnen. Betroffene fühlen sich mit ihren Diagnosen nicht alleingelassen, sondern können die bekannten Gespenster mal in fremden Köpfen herumspuken sehen. Eine Tabuisierung dieses Themas führt vielmehr zu einem Schamgefühl der Leidtragenden und erhöht die Hemmschwelle, professionelle Hilfe aufzusuchen. Auch für „gesunde“ Menschen sind diese Romane aufschlussreich. Aufgrund der metaphorischen Beschreibungen können sie sich in die Rolle der ProtagonistInnen hineinversetzen. Ohne diese Empathie ist die Gefahr, behandlungswürdige Krankheiten zu verharmlosen, groß.
Diese aufklärenden, literarisch verpackten Erfahrungsberichte leisten einen wichtigen Beitrag, denn die Monster und Gespenster können in allen Köpfen ihr Unwesen treiben – aber mit den richtigen Mitteln dann auch verjagt werden.