LESERINNENBRIEFE :
Gerechtigkeit sieht anders aus
■ betr.: „Die ungerührten Deutschen“, Kommentar von Ulrike Herrmann, taz vom 3. 4. 13
Bei allem Respekt vor Ihren Fähigkeiten der Analyse, eines ist sicher zu kurz gegriffen: „In allen Südländern sind die etablierten Parteien verbraucht.“ Das ist zwar richtig, doch wichtiger ist: In Deutschland sind die etablierten Parteien verbraucht! Egal welche Regierung: alle stützen das Kapital, alle setzten auf Export! Der Mittelstand wird mit „Brot und Spiele“ = „Aldi und Fernsehen“ bei Laune gehalten, und alle haben noch „Underdogs“, denen es schlechter geht: Menschen, die Asyl beantragt haben, alleinerziehende Frauen, Menschen, die keine Arbeit haben.
Gerechtigkeit sieht anders aus: mehr Geld für Bildung, Jobs für wenig Qualifizierte im Bereich der Instandhaltung von Infrastruktur (Wege, Plätze, Straßen, Beleuchtung, Parks …). Das Geld ist da, es wird bloß falsch eingesetzt/verteilt.
Für ein gerechteres Europa wäre die Steigerung der Arbeitslosigkeit in Deutschland sicher ein möglicher Weg, da haben Sie Recht. Die Stärkung des Mittelstands mit Schaffung von Ausbildungsplätzen und Produktion für den Binnenmarkt ist sicher die bessere Alternative – und nachhaltiger! NORBERT VOSS, Berlin
Was treiben die anderen 16?
■ betr.: „Die ungerührten Deutschen“, taz vom 3. 4. 13
Ulrike Herrmann schreibt, was viele schreiben: „Auf ihre (Südländer) Regierungen kommt es sowieso nicht mehr an, denn faktisch werden sie bereits aus Deutschland regiert. Hier werden die Bedingungen diktiert …“ Aber wie viele andere auch sagt sie dem Leser nicht, wie das geht bei 17 in gleicher Weise stimmberechtigten Finanzministern, Regierungschefs etc. Treibt Herr Schäuble die anderen 16 mit der Trillerpfeife vor sich her, und die kuschen dann? Oder machen die anderen 16 bei den Beratungen keine eigenen Lösungsvorschläge oder gar noch schlechtere als die Deutschen? In den Spitzengremien Europas heißt es: Ein Land – eine Stimme! Was treiben die anderen 16 da?
Und wer sind eigentlich „die Deutschen“, die völlig ungerührt bleiben? Das sind ja dann wohl wir Bürger. Sollen wir jetzt aus Mitgefühl Rührung zeigen – wie denn? Davon wird gar nichts besser.
Vielleicht kümmern sich alle mal um die wirklichen Probleme. Und die liegen im sogenannten Finanzmarkt und bei den Politikern aller Länder, die nicht wirklich etwas dagegen unternehmen wollen, weil noch jeder irgendwo darin seinen Vorteil sieht und „das Ganze“ möglichst nicht in den Blick nehmen will. RALF LIEBERS, Sankt Augustin
„Europäische Konkurrenz-Arena“
■ betr.: „Was Europa kaputtmacht“ u. a., taz vom 3. 4. 13
Die sich seit längerem abzeichnende Spaltung Europas steht womöglich erst am Anfang. Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Wir lesen im Wechsel über Schuldenkrise, Eurokrise, Rezession, Arbeitslosigkeit, Armut (über Reichtum eher weniger), über anwachsenden Rechtsradikalismus und Kriminalität und nicht zu vergessen: über Krisensitzungen in beispielloser Folge. Die Ergebnisse sind bekannt und ein Ende der katastrophalen Entwicklung ist nicht in Sicht, im Gegenteil.
Die Verteilungsmaschine von unten nach oben läuft weiter wie geölt, mehr und mehr auch über Grenzen hinweg.
Politiker, Lobbyisten und ewig gestrige Wirtschafts-„Experten“ erklären uns, die Agenda 2010 habe sich in Deutschland bewährt, man müsse sie jetzt nur auf ganz Europa übertragen. Geht’s noch? So jedenfalls stellt sie sich aktuell dar, die EU, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete.
EU steht doch für Europäische Union – richtig? In Anbetracht der Entwicklung sollte sie vielleicht umbenannt werden, etwa in EKA – „Europäische Konkurrenz-Arena“. Wettbewerbsfähigkeit über alles; Fortsetzung der Reichtumspflege, denn wir brauchen sie doch, die „Leistungsträger“; Akzeptieren von Armut zwecks Motivation zur Annahme jeder Arbeit; Privatisierungen von Staatsbesitz im großen Stil, um anlagesuchende Investoren ruhigzustellen; Einschränkung demokratischer Mitbestimmung, damit Großprojekte ungehindert durchgezogen werden können … Oh, Entschuldigung, jetzt bin ich wohl zu weit gegangen … DIETER STOMPE, Erfurt
Blähtechnik der Statistiker
■ betr.: „Neuer Passagierrekord bei Bussen und Bahnen“,taz vom 4. 4. 13
Offensichtlich haben Mars-Menschen besonderes Vergnügen daran, den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland zu nutzen – von Amerikanern, Afrikanern, Asiaten und der übrigen Weltbevölkerung ganz zu schweigen. Denn jeder Erstklässler weiß, dass 2012 nicht 11 Milliarden Erdmenschen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen konnten, wenn die Erdbevölkerung nur 7 Milliarden umfasst. Hier hat die jährliche Blähtechnik der Statistiker mal wieder zugeschlagen, die Anzahl an Fahrten gleichsetzt mit Anzahl an Menschen.
Tatsächlich werden es vielleicht etwas mehr als 15 Millionen Menschen sein, die öffentliche Verkehrsmittel nutzen: täglich eine Hin- und Rückfahrt. Mehr werden das dann auch im Gesamtjahr nicht. Bei 80 Millionen Einwohnern in Deutschland sind das fast 20 Prozent aller Einwohner – darauf kann man doch auch stolz sein, ganz ohne statistisches Aufplustern. GEROLF HEBERLING