Heimat: Draußen

FESTIVAL Hommage an Stadt und schräge Typen: Das vierte „Elbblick“-Festival zeigt 12 Stunden nonstop Hamburg-Filme

Der Aussteiger bringt auch seine letzte Verweigerung äußerst konsequent zu Ende

VON ROBERT MATTHIES

Er steht ganz am Ende. Zumindest jener Sozialgeschichte des Films der 70er Jahre, die ihre Verfasserin Bettina Jäger mit „Ein unheimlich starker Abgang oder die Genealogie des Scheiterns“ betitelt hat. Denn Matrose Gibbi, Protagonist von Christel Buschmanns Spielfilmdebüt „Gibbi Westgermany“ von 1979, sei in einem Punkt längst weiter als andere: Weit über 30 und schon mit reichlich Lebenserfahrung ausgestattet, sei der Vater einer Tochter, deren Mutter mittlerweile verheiratet ist, über die Suche nach einer gesicherten bürgerlichen Existenz längst hinaus: nur eine Utopie, die ausschließlich als Versprechen funktioniert.

Und was der trotzig-selbstbewussten Sonja und dem auf sein Glück pochenden Willi als erstrebenswert scheint: auch nur Ausbeutung und Unterdrückung. Gibbi aber schlage im Wissen, dass sich die im Zeichen von Freiheit und eigenbestimmtem Handeln gepriesene Individualisierung letztlich als subtiler Ausbeutungsmechanismus entpuppt, einen anderen Weg ein: Der nach St. Pauli in die mütterliche Imbissbude zurückgekehrte Seemann sagt den Konventionen den Kampf an, lehnt jeden Zwang ab und führt rücksichtslos sein eigenes Leben. Heimlich holt er die Tochter ab und bummelt mit ihr über die Reeperbahn. Die inzestuöse, aggressive Beziehung zur Mutter wird immer gewalttätiger, bis Gibbi in einer Anstalt landet. Nach der Entlassung scheinen sich die Dinge zu bessern. Bis klar wird: weder mit noch ohne Mutter geht es weiter. Und der konsequente Aussteiger bringt auch seine letzte Verweigerung mit äußerster Konsequenz zu Ende.

Christel Buschmanns ganz offensichtlich mit viel Wut im Bauch gedrehtes Debüt kommt dabei spontan, locker und mitnichten bedeutungsschwer daher. Und so ist der tragische Slacker-Film nicht nur als radikaler Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen in den 70ern interessant, sondern lässt sich auch lückenlos in den Reigen jener Kult-Streifen einreihen, die seit Klaus Lemkes „Rocker“-Film unter dem Signum „Hamburg-Filme“ firmieren.

Und so ist der rare Film heute im Rahmen des 4. Elbfilm-Festivals zu sehen, das ab 15 Uhr 12 Stunden nonstop eine Auswahl jener „Heimatfilme“ mit dem spröden „Raus aus der Gesellschaft“-Charme zeigt. Los geht es mit dem langohrigen Horrorfilm „Hasenmörder“, gefolgt von einem Kurzfilm-Block. Nach „Gibbi Westgermany“ ist dann Lemkes unumgänglicher „Rocker“ zu sehen, anschließend Henna Peschels „Madboy“. Und zu guter Letzt gibt es „Paul“, Klaus Lemkes ebenfalls rare, psychedelische „Rocker“-Fortsetzung von 1974. Außerdem: Gespräche mit zwanzig geladenen Regisseuren, Schauspielern und Cuttern und Musik vom Songwriter Sir Henry Mars und Hamburgs ältestem Elvis-Imitator King Harry.

■ Sa, 23. 1., 15 Uhr, 3001, Schanzenstraße 75 (im Hof)