: Neonazis machen mehr Wind
Die Zahl rechtsextremer Gewaltdelikte bleibt in Brandenburg 2005 auf hohem Niveau. Vor allem Propagandataten nehmen massiv zu. Gleichzeitig wächst der Mut zu Protesten gegen Neonazis
VON FELIX LEE
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hat eine Vorliebe – und die besteht darin, rechte und linke Gewalt gleichzusetzen. Dabei zeigt die von seinem eigenen Ministerium erstellte Gewaltstatistik, dass es zwischen Linken und Rechten sehr wohl Unterschiede gibt. Ein Blick auf die Zahlen genügt: 84 rechtsextreme Gewaltdelikte bis Ende November dieses Jahres stehen neun linksextreme Delikte gegenüber. Doch Schönbohm bleibt dabei: Linke und rechte Extremisten müssten gleichermaßen bekämpft werden.
Wie die Sprecherin des brandenburgischen Innenministeriums bestätigt, ist damit nach den ersten elf Monaten dieses Jahres bereits die Gesamtzahl aller rechten Gewaltdelikte von jeweils 2002 und 2003 erreicht. Vor drei Jahren zählte das Ministerium 82 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten, ein Jahr später 87. Im Jahr 2004 verzeichnete mit 105 Delikten den bisherigen Höchstwert. Ob dieser Wert 2005 übertroffen wird, könne noch nicht beantwortet werden, so die Sprecherin.
Gleichzeitig hat die Zahl der rechtsextremistischen Propagandadelikte in diesem Jahr ganz erheblich zugenommen. Bis Ende November zählte das Innenministerium mit 817 Fällen 203 mehr als ein Jahr zuvor. Zu Propagandadelikte werden Sieg-Heil-Rufe und Hakenkreuzschmierereien gezählt, aber auch das Tragen von Runen der bei Neonazis sehr beliebten Marke Thor Steinar, die bis zum Herbst in Brandenburg verboten waren.
Als besonders bedrohlich nimmt das Innenministerium die Entwicklung in der rechtsextremen Musikszene war. Die Gewalt verherrlichenden Texte seien ein „ungeheuer wirksames Mittel zur politischen Indoktrination“, da sie „aufstachelnd wirken“, so die Sprecherin des Innenministeriums. Das Land Brandenburg hat bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien bis Ende November die Indizierung von 60 meist rechten Musiktitel beantragt. Damit stammen zwei Drittel aller Anträge bundesweit auf Indizierung von Gewalt verherrlichender Musik aus Brandenburg.
Vor dem Einfluss rechtsextremistischer Propaganda auf die Gewaltbereitschaft warnte auch der brandenburgische Vorsitzende des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, Heinz Joachim Lohmann. Es gebe durchaus Veränderungen in der rechten Szene, sagte Lohmann. Ob der erstmalige Überfall von Rechtsextremisten auf einen Polizisten Anfang Dezember in Königs Wusterhausen ebenfalls auf eine neue Qualität der Gewaltbereitschaft hinweist, wollte er aber nicht abschließend beurteilen.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Sowohl Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) als auch der Berliner Protestforscher Dieter Rucht sehen eine wachsende Bereitschaft der Bürger, die Abwehr von Neonazis nicht nur der Polizei zu überlassen. „Die Mobilisierung gegen rechts ist kräftiger geworden“, sagte Rucht.