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Archiv-Artikel

Für Energie mit Krieg oder Nabucco

VON NICK REIMER

Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine hat seine Vorgänger. Vor fast 2 Jahren sperrte Moskau Weißrussland die Leitungen. „Kein Gas bei minus 20 Grad hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben“, empörte sich der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko – um sich danach den russischen Forderungen zu beugen: Weißrussland verkaufte seine Gasleitungen an den übermächtigen Nachbarn.

1997 hatte Russland Streitereien über Zahlungsmodalitäten zum Anlass genommen, Turkmenien den Gashahn zuzudrehen. Allerdings den Durchleitungshahn: Statt turkmenischen Gases pumpte Leitungsmonopolist Gazprom nun eigenes nach Westeuropa. Turkmenien schlitterte in eine schwere wirtschaftliche Krise.

„Zur Durchsetzung von nationalen Interessen in der Außenpolitik haben Öl und Gas dieselbe Bedeutung wie Atomwaffen“, formulierte gerade Sergei Iwanow, der russische Außenminister. Russland ist mit nachgewiesenen 48.000 Milliarden Kubikmeter Vorräten mit Abstand der potenteste Einzelexporteur von Erdgas. Allerdings bringen es Iran, Katar, Saudi-Arabien, der Irak und die Vereinigten Arabischen Emirate zusammen auf 70.000 Milliarden Kubikmeter Vorrat. Beide Regionen zusammen – die so genannte strategische Ellipse – besitzen etwa 70 Prozent der Welt-Gas- und -Ölvorräte. Europa, die USA, China und Indien hingegen – die Hauptverbraucher fossiler Brennstoffe – sind quasi erdgasfrei. Wie abhängig sind wir von der „strategischen Ellipse“?

Das kühle Gas

Immerhin 24 Prozent des deutschen Erdgases stammen aus Norwegen – Europas Erdgas-Krösus. 19 Prozent kommen aus den Niederlanden. Allerdings ist dieses Gas – so genanntes niederkalorisches – von minderer Qualität. Genauso wie das einheimische: Deutschland förderte im letzten Jahr 20,6 Milliarden Kubikmeter – was immerhin noch 16 Prozent des Eigenverbrauches ausmacht.

Erdgas wird hierzulande nordwestlich von Hannover, in Sachsen-Anhalt, im Oberrheinischen Tiefland, im Bayerischen Alpenvorland und auf Usedom gefördert. Allerdings sanken in den letzten fünfzehn Jahren die deutschen Reserven rapide: von 366 Milliarden Kubikmetern auf 279 im letzten Jahr. Experten gehen davon aus, dass spätestens 2025 Schluss sein wird mit der einheimischen Förderung.

Alternativen müssen also her – und die technologisch am leichtesten machbaren liegen nach wie vor in Russland. Zwar ist es heute bereits technisch möglich, Gas „Pipeline-frei“ zu transportieren. Doch das so genannte „Liquefied Natural Gas“-Verfahren ist mit 200 Dollar pro Tonne noch sehr teuer: In gigantischen Kühlanlagen wird das Gas auf unter minus 161 Grad Celsius gekühlt, wo es verflüssigt auf ein 600stel seines Volumens schrumpft. Derart kann es dann per Schiff transportiert werden, etwa von algerischen, nigerischen oder venezolanischen Erdgasfeldern. Eon Ruhrgas prüft derzeit, ob ein entsprechender Spezial-Frachthafen in Wilhelmshaven wirtschaftlich zu betreiben ist. Mit einer möglichen Realisierung wird aber nicht vor 2010 gerechnet.

Pipelines und Gas-Ersatz

Daneben werden drei Szenarien in Europa verfolgt. Erstens: der Bau neuer Pipelines. Der Vorteil der jüngst besiegelten deutsch-russischen Ostseepipeline besteht darin, dass sie auf dem Meeresgrund verläuft – also unabhängig von Transitstaaten ist. Was natürlich Polen, Ukrainer oder Weißrussen erbost: Ihnen entgehen nicht nur die Transportgebühren, sondern auch geopolitischer Einfluss. Unter dem Projektnamen Nabucco soll zweitens eine Pipeline vom Kaspischen Meer über die Türkei und den Balkan gebaut werden – um die reichen Vorkommen Irans, Turkmeniens oder Kasachstans „russlandunabhängig“ zu erschließen.

Szenario Numero 2: die Substitution von Erdgas. Beispiel Schweden: Beinahe ein Viertel des gesamten Energiebedarfs wird dort bereits durch Bioenergie gedeckt. 60 Prozent der Fernwärme werden aus Biomasse gewonnen, es gibt ein gut etabliertes Tankstellennetz für Biokraftstoffe. Dänemark gewinnt fast die Hälfte seines Stromverbrauches durch die so genannte Kraft-Wärme-Kopplung. Neben Strom – Kraft – wird auch die Abwärme genutzt, die anderswo über die Kühltürme der Kraftwerke einfach in die Umwelt abgelassen wird. Derart hat Dänemark seine Abhängigkeit von Importgas stark reduziert.

Und das Beispiel Deutschland: Vor allem durch ein Effizienzprogramm will Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) die Abhängigkeit von Importgas oder Importöl verringern. So will der Umweltminister einerseits ein Gebäudesanierungsprogramm auflegen. Andererseits will Gabriel die Nutzung der Ökowärme forcieren, die bislang weit hinter ihren Potenzialen zurückblieb. Ein Halbsatz im Koalitionsvertrag legt die Route fest: Man wolle „die Marktpotenziale erneuerbarer Energien im Wärmebereich besser erschließen“, heißt es dort. Und deshalb „zum Beispiel ein regeneratives Wärmenutzungsgesetz“ einführen.

Vielleicht hilft dem Minister der aktuelle Streit zwischen Russland und der Ukraine, seine Vorhaben zu forcieren: Schließlich wird der deutsche Jahresverbrauch an Erdgas in Höhe von 1.170 Milliarden Kilowattstunden immerhin zu 35 Prozent aus Russland gedeckt. 80 Prozent davon nehmen den Weg über die Ukraine.

Krieg als Planspiel

Das dritte Szenario der Europäer wird von taz-Korrespondent Andreas Zumach in seinem Buch „Die kommenden Kriege“ geschildert. „Militärisches Ziel der Operation ist, das besetzte Territorium zu befreien und Kontrolle über einige der Öl-Infrastrukturen, Pipelines und Häfen des Landes X zu bekommen“, zitiert er aus dem „European Defence Paper“, das 2004 die Planung der künftigen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der EU festlegte. Allein oder mit den USA – Kriege zur Sicherung der eigenen Rohstoffinteressen werden explizit aufgeführt.

Und sie werden eher zusammen mit den USA geführt: Keine Volkswirtschaft der Welt ist abhängiger von Öl- und Gasimporten. Die USA konsumieren ein Viertel des weltweiten Tagesverbrauches von 84 Millionen Barrel Erdöl. „Für die USA gibt es nur eine Region auf der Welt, für die es zu kämpfen lohnt: das Gebiet vom Persischen Golf bis zum Kaspischen Meer und Zentralasien“, schrieb David Trucker. Unter Präsident Clinton war Trucker im US-Verteidigungsministerium mit Konflikten unterhalb der Kriegsschwelle befasst. Eigentlich für Deeskalation zuständig, begründete Trucker seine Kriegsbereitschaft so: „Hier lagern 75 Prozent der Welterdölreserven.“