Merkel greift Guantánamo an

Die Kanzlerin bekräftigt den Konsens der deutschen Politik in Bezug auf das rechtswidrige US-Gefangenenlager – und sammelt damit dennoch Punkte. Nicht zufällig vor ihrem Antrittsbesuch in Washington begegnet sie dem Verdacht, sie sei Bush hörig

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Angela Merkel sagt etwas für eine deutsche Regierungschefin eigentlich Selbstverständliches und erntet dafür dennoch parteiübergreifend Lob. Dieses kleine Kunststück brachte die Kanzlerin mit nur drei Sätzen in einem Spiegel-Interview fertig. Dabei sind ihre Äußerungen nur das Resultat eines Ausweichmanövers. Auf die konkrete Frage der Spiegel-Journalisten, ob deutsche Beamte in das amerikanische Gefangenenlager Guantánamo geschickt werden dürfen, um dort Häftlinge zu verhören, antwortete Merkel mit einem allgemeinen Bekenntnis: „Eine Institution wie Guantánamo kann und darf auf Dauer so nicht existieren. Es müssen Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den Gefangenen gefunden werden. Das steht für mich außer Frage.“

Das reichte, um selbst die grüne Parteichefin Claudia Roth in leichte Verzückung zu versetzen. Roth sprach von einem „richtigen Signal“ an den US-Präsidenten. „Es darf keine rechtsfreien Räume geben, die das humanitäre Völkerrecht eklatant verletzten.“ Das hatte bislang auch kein einziger deutscher Spitzenpolitiker anders gesehen. Für Merkel jedoch hat sich das Bekräftigen dieser Konsenshaltung in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Wenige Tage vor ihrem Antrittsbesuch in Washington, wo sie am Freitag auch George W. Bush treffen wird, hat Merkel sich den nötigen innen- wie außenpolitischen Spielraum verschafft, um die deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder zu verbessern.

Dieses Vorhaben ist für Merkel ja nicht ohne Risiko. Das Nein der rot-grünen Regierung zum Irakkrieg – die wesentliche Ursache für die Eiszeit zwischen Berlin und Washington – war in der deutsche Bevölkerung durchaus populär. Merkels damalige Kritik an der Haltung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer hatte ihr den Vorwurf eingebracht, mit ihr als Bundeskanzlerin wären deutsche Soldaten in den Irak einmarschiert.

Wenn Merkel jetzt ankündigt, sie wolle über das Thema Guantánamo auch mit dem amerikanischen Präsidenten direkt reden, geht sie in diesem Punkt nicht nur weiter, als es Schröder in Washington getan hat – sie begegnet damit auch dem Verdacht, sie sei Bush allzu hörig. Ihr neues Selbstbewusstsein hatte Merkel bereits beim Besuch von US-Außenministerin Condoleezza Rice Anfang Dezember in Berlin demonstriert. Damals war zwar das Bemühen beider Seiten unübersehbar, für einen guten Auftakt der Kooperation zwischen der Bush-Administration und der neuen Regierung in Berlin zu sorgen. Gleichzeitig gab es jedoch auch unterschiedliche Akzentsetzungen, als es um die Methoden im Antiterrorkampf ging. Merkel trat strikt für die Wahrung rechtsstaatlicher Maßstäbe ein. Den Eindruck, die Kanzlerin betreibe Außenpolitik nicht als bedingungslose Gefolgschaft Washingtons, nahm sie dabei gern in Kauf.

Zu diesem Kurs passt eine weitere Spiegel-Meldung. Angeblich will Merkel sich bei ihrem US-Besuch auch für die Freilassung des in Guantánamo einsitzenden Deutschtürken Murat Kurnaz einsetzen. Worum sich die rot-grüne Regierung noch vergeblich bemüht hat, soll jetzt gelingen. Merkel setzt dabei auf eine diskrete Initiative gemeinsam mit der türkischen Regierung. Washington stand bislang auf dem Standpunkt, der Fall Kurnaz gehe die Deutschen nichts an – nur die Türken seien „anfrageberechtigt“.