K.-P. KLINGELSCHMITT ÜBER ÄLTER WERDENANLAGENBERATER QUÄLEN GERN TIERE UND KUNDEN DER GENERATION 50 PLUS : Nepper, Schlepper, Bauernfänger
Liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links. Haben Sie auch den Werbespot von MyStocks auf N 24 gesehen? Die Kundin einer Bank fragt darin ihren Berater nach der aktuell besten Geldanlage. Die Lusche lässt ein paar Luftballons aufsteigen und katapultiert dann mit einer Holzwippe einen Igel an die Decke. Einer der getroffenen Ballons platzt, herunter segelt ein Zettel mit der Aufschrift Solarenergie.
Abgesehen davon, dass die Staatsanwaltschaft München „wegen des Verdachts einer Straftat gegen das Tierschutzgesetz“ ein Ermittlungsverfahren gegen MyStocks eingeleitet hat, und die professionellen Anlageberater inzwischen darauf hinweisen (müssen), dass der Igel vor seinem Abflug gegen eine Attrappe ausgetauscht worden sei, ist mit dem Spot alles gesagt. Denn provisionsgeile Anlageberater in den Banken haben der werten Kundschaft tatsächlich mit den blödsinnigsten Produkten ihr Geld aus den Taschen gezogen, damit es ihre Bosse zusammen mit ihren Brothers in Arms in den Staaten verzocken oder auf Nummernkonten in der Schweiz bunkern konnten.
Exkurs: Ja, Banker verbal verprügeln macht Spaß, auch wenn Tolerante DENEN nach dem Portemonnaie jetzt auch noch die Brieftasche hinhalten wollen.
Und was lernen wir daraus? Dass wir keine Frikadellen von den Buffets unserer Arbeitgeber klauen dürfen. Denn wir sind 50 plus und finden nach unserer Katapultierung aus unseren Jobs keine neuen mehr – im Gegensatz zu den Hasardeuren aus den Vorstandsetagen der Banken, die keine Skrupel hatten und haben, sich und ihre heruntergewirtschafteten Institute auch noch mit unserem (Steuer-)Geld zu sanieren. Weil wir aber inzwischen aus Erfahrung klug und wachsam(er) geworden sind, haben SIE sich etwas Neues ausgedacht, um uns ködern zu können. Firmen wie consult50plus bieten jetzt Banken und anderen Unternehmen ihre ganz speziellen Beratungsdienste an, denn „die Zielgruppe über 50 besitzt nachweisbar hohe Vermögenswerte und verfügt über eine Kaufkraft, die heute schon auf über 260 Milliarden Euro geschätzt wird“, so ein Anlagenexperte auf dem Wirtschaftsforum der IHK Rhein-Main im Mai 2009. Da kam es bei den im Saal versammelten Wirtschaftsführern und Börsenhengsten schon einmal zu vermehrtem Speichelfluss.
Trickreich wollen SIE jetzt auf uns zugeschnittene Produkte und Dienstleistungen verkaufen, die wir gar nicht brauchen, die SIE uns Best Agers aber so raffiniert offerieren, dass wir sie als natürlich, hilfreich, angenehm, vertraut, vielleicht sogar als begehrenswert einstufen und dann auch kaufen (würden). Entsprechend trainierte Nepper, Schlepper und Bauernfänger werden uns demnächst überall auflauern. Früher hat sich Ede Zimmermann im TV um diese Typen gekümmert. Jetzt müssen wir selbst ’ran. Denen vom Media Markt jedenfalls verraten wir nicht einmal mehr unsere Postleitzahl. Und wir verweigern allen Versicherungsvertretern und Anlageberatern den Zutritt zu unseren Wohnungen. Wo immer es geht, zahlen wir bar. Wir meiden alles, was mit der Falle Wellness zu tun hat; und auch IHRE aufgeblasenen Events.
Lieber tragen wir unser Geld zum Biometzger, zu unserem Lieblingswinzer und in die Restaurants unseres Vertrauens. Sollten bei mir am Monatsende noch ein paar Euro übrig sein, spende ich sie der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger oder kaufe mir eine Holzwippe. Damit katapultiere ich dann den kläffenden Hund der Frau F. von schräg gegenüber in den Orbit.
Rein: CD „Easy come, easy go“ (Marianne Faithfull).
Raus: Plattenspieler (kaputt). K.-P. KLINGELSCHMITT
Hinweis:ÄLTER WERDEN Wie schützen Sie sich? kolumne@taz.de Montag: Josef Winkler ZEITSCHLEIFE