: Adele Bloch-Bauer wohnt hier nicht mehr
Überraschender Ausgang eines Schiedsverfahrens: Die Österreichische Galerie Belvedere muss fünf berühmte Bilder Gustav Klimts zurückgeben
As close as a kiss: Mit diesem Hinweis auf einem Plakat des berühmten Kuss-Bildes von Gustav Klimt werden Gäste der österreichischen Hauptstadt Wien schon am Flughafen begrüßt und zum Besuch der Österreichischen Galerie Belvedere eingeladen.
Nicht den längst zur Ikone geratenen Kuss, aber immerhin das zweitberühmteste Bild des Jugendstil-Künstlers muss das Museum im barocken Schloss des Prinzen Eugen von Savoyen wahrscheinlich bald hergeben, nämlich ein Porträt der jüdischen Großbürgersgattin Adele Bloch-Bauer. Auf dem Gemälde ist die fragile junge Frau mit schwarzen hochgesteckten Haaren ganz in Goldornamente gekleidet. Auch ein zweites Porträt von Adele Bloch-Bauer im blauen Gewand sowie drei Landschaftsbilder desselben Künstlers wurden gestern von einem Schiedsgericht überraschend der betagten Erbin der Porträtierten zugesprochen.
Die 89-jährige Klägerin Maria Altmann hat sich damit in einem mehr als sechsjährigen Rechtsstreit auf der ganzen Linie durchgesetzt. Die in Kalifornien lebende Nichte der Bloch-Bauers leitet ihren Anspruch daraus ab, dass die Bilder ihrem Onkel Ferdinand Bloch-Bauer, dem Witwer von Adele, von den Nazis weggenommen worden waren. Nach dem Krieg landeten sie im Belvedere. Für Altmann und ihre Anwälte geht es also um die Rückgabe von Raubkunst. Der Fall ist aber insofern kompliziert, als Adele schon 1932, also lange vor Beginn der Naziherrschaft in Österreich, in ihrem Testament verfügt hatte, ihr Gatte möge die Bilder nach seinem Tod dem Belvedere überlassen. Das für die Museen zuständige Bildungsministerium lehnte daher, anders als bei eindeutigen Fällen von arisierten Kunstschätzen, die Restitution ab und ließ sich verklagen.
Jahrelang wurde über die Zuständigkeit der Gerichte gestritten. Vom Wiener Landesgericht, wo 1999 die erste Klage eingebracht wurde, wanderte der Prozess nach Kalifornien. Schließlich einigten sich die Streitparteien im Mai des Vorjahres, das Urteil in den USA nicht abzuwarten und sich stattdessen einem verbindlichen – und schnelleren – Schiedsverfahren in Österreich zu unterwerfen. Zum Vorsitzenden des Schiedsgerichts wird der an der Universität Linz lehrende Zivilrechtprofessor Peter Rummel bestellt. Zwei von den Parteien gewählte Experten ergänzten das Dreierkollegium.
Was der Spruch für die umkämpften Bilder bedeutet, ist noch nicht klar. Maria Altmann hat sich dazu nie klar geäußert. Wahrscheinlich ist aber, dass zumindest eines der Werke, deren Gesamtwert auf über 200 Millionen Euro geschätzt wird, zur Versteigerung kommt. Schließlich hat die Klägerin Verfahrens- und Anwaltskosten von mehreren Millionen Dollar zu begleichen. Dass die weltberühmten Gemälde in der Villa Frau Altmanns in Los Angeles verschwinden, ist aber wenig wahrscheinlich. Ob sie von Privatsammlern ersteigert, von Museen in den USA angekauft oder vielleicht doch gegen finanzielle Entschädigung im Belvedere verbleiben dürfen, ist derzeit völlig ungewiss.
Ziemlich sicher wird aber in den nächsten Wochen die Besucherzahl der Österreichischen Galerie in die Höhe schnellen.
RALF LEONHARD