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Archiv-Artikel

Hot Spot Stade

Wie die Knochen des Erzbischofs von Bremen zwei deutsche Starkünstler inspirierten – und die Stadt Stade sogar in die „Tagesthemen“ brachten

Der Eröffnungsabend lockte einen riesigen Kunsttross aus Berlin und Hamburg an

von Hajo Schiff

Der hohe Herr von Arnsberg hatte Pech – als Erzbischof von Bremen abgesetzt, musste er sich nach Stade zurückziehen und wurde dort 1363 in der Klosterkirche St. Georg beerdigt. Und nicht, wie es einem Erzbischof und Landesherrn zugekommen wäre, im Bremer Dom. Rund 300 Jahre hielt seine Grabeskirche, dann verfiel sie und wurde schließlich gegen 1698 von den Schweden abgerissen, den neuen Herren im Bistum Bremen.

So hätte es mit dem alten Erzbischof sein Bewenden haben können, wäre nicht 1992, bei Ausgrabungen im Keller des barocken Zeughauses, sein kaum gestörtes Grab wiedergefunden worden – ein Umstand, der allerdings kaum über die Grenzen von Stade hinausdrang. Bis sich zwei Starkünstler, Daniel Richter und Jonathan Meese, der Sache annahmen.

Die Verbindung kam über den Stader Stadtarchäologen Andreas Schäfer zustande, der schon lange mit Daniel Richter befreundet ist. Richter, 1962 nahe Eutin geboren, ist Kunstprofessor in Berlin und gehört zum Umfeld der höchst erfolgreichen neuen deutschen Historienmalerei, was auch daran zu erkennen ist, dass er seine bis dato eher ornamental-abstrakten Bilder in letzter Zeit stark figurativ aufgeladen hat.

Richter, dessen großformatige Bilder es auf dem internationalen Kunstmarkt schon mal auf eine Viertelmillion Euro bringen, versprach, sich künstlerisch um die Bischofsfunde in der Provinz zu kümmern und zog Jonathan Meese hinzu. Dieser, 1971 in Tokio geboren und in Ahrensburg lebend, gilt in der Kunstszene als „Enfant terrible“. Mit schein-naiver Intensität durchpflügt er die deutsche Geschichte in großen Material-Installationen, die er banalisiert und individuell neu arrangiert.

Für eine Ausstellung, die jetzt in Stade eröffnet wurde, haben die beiden eine Serie von 14 Bildern collagiert und gemalt. Es sind unterschiedlich feine Paraphrasen über den Totenschädel Gottfried von Arnsbergs und die ins Grab mitgegebene eiserne Replik des gebogenen Bischofstabes, alte Papstsiegel werden zitiert und Sätze zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgemalt. In der Ausstellung, die den Titel „Die Peitsche der Erinnerung“ trägt, wurden die Bilder bei der Hängung spontan und spaßig mit Wandbemalung und etlichen gefundenen Objekten inszeniert. So versteht sich ein echter toter Maulwurf als Hommage an die Wühlarbeit der „Arschäologie“, wie es ohne Hemmung vor Kalauern bei den Künstlern heißt.

Es wäre altmodisch anzumerken, dass manche Bildtafeln des Ensembles nichts außer der Attitüde stilisierter Pubertät transportieren. Doch Kritik im Detail läuft angesichts des ironischen Rollenspiels der Künstler ins Leere. Kunst darf alles – auch spielerisch Standort-PR für Stade machen. Schließlich sind auch die über 50 weltweit durchgeführten Kunst-Biennalen oft Standortpropaganda. Nur fällt das bei der Ereignisdichte in Berlin und Istanbul, Shanghai und São Paulo nicht so auf.

Die alte Hansestadt Stade versteht sich auf ihren Nutzen: Mit den Geldern von Atomenergie und internationaler Großchemie hat sie ihre Altstadt puppenstubenhaft herausgeputzt. Nun beflügelt die Aufmerksamkeit des internationalen Kunstbetriebs das Image der Stadt. Die erste Gemeinschaftsarbeit zweier junger, sonst von Berlin aus operierender deutscher Kunststars brachte als Kulturmeldung in den ARD „Tagesthemen“ die kleine Kreisstadt Stade prompt prominent ins Fernsehen.

Der Eröffnungsabend lockte einen riesigen Kunsttross aus Bremen, Berlin und Hamburg an. Aber wie bei den meisten Ausstellungen kommen nach dem Event nur noch wenige Besucher. Und tatsächlich geht es ja auch nicht mehr nur um die allen sichtbaren Bilder an der Wand, sondern ebenso um das Drumherum der Führungen und Seminare: Den Mut zu subjektiver Aneignung von Geschichte, den postmodernen Geniekult, den Reiz räumlich und zeitlich ferner Orte, das bewusste Ausspielen von Peripherie und Zentrum oder die Aufwertung der Marktposition der Künstler durch eine nichtkommerzielle Aktion – denn alle Arbeiten wurden von den Künstlern der Stadt gestiftet. Fazit: Mäßige Malerei, prima Performance. Als Werbeaktion voll gelungen.

Jonathan Meese, Daniel Richter: „Die Peitsche der Erinnerung“ – Die Stader Bilder“. Kunsthaus Stade, Wasser West 7, Dienstag bis Freitag 10–17, Samstag und Sonntag 10–18 Uhr; bis 19. März. Führungen: 28. Januar, 15 Uhr; 29. Januar, 11 Uhr. Weitere Informationen: www.meese-richter-stade.de