: Atemlos übercodiert von A nach Z
MIGRANTEN Vorhersehbare Probleme: der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Shahada“ von Burhan Qurbani
Berlin hat in „Shahada“ einen monotonen, kühlen Blaustich. Straßen und Häuser, meist in Kreuzberg rund um das Kottbusser Tor gefilmt, machen den üblichen pittoresk verslumten Eindruck. Auch der Umgangston ist erwartbar. „Blöder Wichser!“, schimpfen zwei migrantische Teenager, weil der Türsteher sie nicht in die Disco lassen will. Man versteht: Großstadteinsamkeit, unbehauste Figuren, rebellische Migrantinnen. Doch das Licht, die Location und der Tonfall haben etwas Übercodiertes.
Auch die Probleme, die ausgebreitet werden, sind allesamt höchst schwerwiegend. Die 19-jährige Maryam (Maryam Zaree) leidet nach einer Abtreibung unter Schuldgefühlen und wandelt sich vom rotzigen, mit Schimpfwortkanonaden bewaffneten Teenager zur rigiden religiösen Fundamentalistin. Der Nigerianer Samir (Jeremias Acheampong) wird zwischen schwulem Begehren und islamischer Gläubigkeit zerrissen. Der Polizist Ismail (Carlo Ljubek) stellt einer jungen Frau nach, die er vor Jahren angeschossen hat.
Diese Geschichten sind nur lose miteinander verknüpft. Es geht um Jugenddissidenz und Islamismus, Erlösungssuche und Generationskonflikte, eine Ehekrise, den Sinn des Daseins, Tod und Leben. Die Figuren wirken eingezwängt in ein Korsett aus Konflikten und Bedeutungen. Auch deshalb herrscht in diesem Film eine gewisse Atemnot.
Das ist schade. Die Schauspieler sind fast alle neue Gesichter, und „Shahada“ ist ein Debüt. Der Regisseur Burhan Qurbani ist 31 Jahre alt, stammt aus Afghanistan und wuchs in Deutschland auf. „Film“, sagt Qurbani, „muss gefährlich sein.“ Nichts ist dieses Debüt weniger. Es ist ein Film voll dramaturgischer Sicherungstaue.
„Shahada“ soll ein komplexes Bild des islamischen Milieus entwerfen. Qurbani will Innensichten von Migranten ausleuchten und klare Urteile, etwa dass Religion Unterdrückung ist und der westliche Lebensstil prima, meiden. Auch der fundamentalistische Wahn, in den Maryam flüchtet, erscheint als etwas Erklärbares.
Das ist zwar sympathisch, doch was fehlt, ist das Unerwartete, Verspielte, Zufällige. Gerade die episodische Erzählung braucht Öffnungen und die Geste des Schlenderns. Doch „Shahada“ marschiert ängstlich entschlossen von A nach Z. Die Problemstellungen werden reißbrettartig entwickelt und zugespitzt. Bis in die Farbgebung hinein ist alles vorhersehbar, und die Symbolik hat etwas trostlos Eindeutiges. Ismail, der reumütige Polizist, dringt einmal in die Wohnung der Frau ein, auf die er vor Jahren versehentlich geschossen hatte. Dort klebt er einen zerbrochenen Teller wieder zusammen. Wir verstehen: Der Scherbenhaufen ist nur scheinbar zu kitten, das Vergangene nicht reparabel. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. „Shahada“ hätte ein kleiner, rauer Migrantenfilm werden können. Merkwürdig, dass er wirkt wie das Klischee eines deutschen Problemfilms.
STEFAN REINECKE
■ Heute, 9.30 Uhr: Friedrichstadtpalast; 20 Uhr: Urania. 21. 2., 22 Uhr: International