Bundesregierung sorgt sich um Geiseln

Nach neuem Ultimatum nennt Außenminister Steinmeier die Lage der im Irak entführten Deutschen „ernst“. In der Firma der der beiden Ingenieure herrscht blankes Entsetzen. Leipziger Pfarrer Führer: Schuld ist „anglo-amerikanischer Krieg“ im Irak

AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH

Wenn selbst Diplomaten das Wort „ernst“ gebrauchen, dann muss die Situation in der Tat bedrohlich sein. „Die Lage entwickelt sich auch nach unserer Beurteilung ernst“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) gestern zur Entführung zweier deutscher Geiseln im Irak. Am Dienstagabend hatte der arabische Fernsehsender al-Dschasira ein zweites Video der Kidnapper ausgestrahlt, in dem diese der Bundesregierung ein 72-stündiges Ultimatum zur Erfüllung ihrer Forderungen stellen. Sie verlangen, die deutsche Botschaft in Bagdad zu schließen und die Zusammenarbeit mit den irakischen Behörden einzustellen. Die beiden Ingenieure Thomas Nitzschke und René Bräunlich aus Bennewitz bei Leipzig waren am Dienstag voriger Woche in der nordirakischen Stadt Baidschi entführt worden.

Angesichts des neuen Ultimatums herrscht nun blankes Entsetzen beim Arbeitgeber der beiden Entführten, dem auf industrielle Gase spezialisierten mittelständischen Anlagenbauer Cryotec.

Prokuristin Karin Berndt sagte, man versuche, trotz des Schocks weiterhin den Krisenstab in Berlin zu unterstützen und Hilfe für die beiden Geiseln zu organisieren. Geschäftsführer Peter Bienert verfügt noch aus DDR-Zeiten über beste Kontakte in den Irak. Ihnen verdankt er offenbar auch den Auftrag, den er Konkurrenten aus England, Frankreich und Deutschland wegschnappte.

Ehemalige Kollegen wie Hans-Joachim Kleinert von der TU Dresden nahmen Bienert vor dem Vorwurf in Schutz, er habe fahrlässig gehandelt. Die Stickstoffanlage wurde schon in Sachsen praktisch fertig in Containern montiert, irakische Kräfte bereits im November ausgebildet, so dass Endmontage und Übergabe auf wenige Tage beschränkt werden können. Ein erster Versuch musste vor Weihnachten wegen Transportschwierigkeiten und der Wahlen im Irak abgebrochen werden. Der Auftrag für diese Pilotanlage wurde durch eine Bank mit 600.000 Euro vorfinanziert.

Über die Frage einer Mitverantwortung der Firma ist es innerhalb der CDU zu einer Kontroverse gekommen. Der Bundestagsabgeordnete und frühere sächsische Justizminister Manfred Kolbe kritisierte in einem offenen Brief an Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dessen Ankündigung, dass möglicherweise finanzielle Forderungen an die Bennewitzer Firma erhoben werden. Das wies wiederum die Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Leipziger Land, Katharina Landgraf (CDU), als „Alleingang“ zurück.

In der Firma gehen unterdessen Solidaritätsbekundungen von Bürgern, Geschäftsfreunden und Politikern ein. Laut Leipziger Volkszeitung äußern sich viele empört über öffentlich erhobene Vorwürfe, Geschäftsführer Peter Bienert sei ein zu großes Risiko eingegangen. Landrat Gerhard Gey (CDU) sprach nach dem jüngsten Entführervideo von einer „höchst dramatischen Situation“ und von einer „Welle der Solidarität“, die durch den Muldentalkreis gehe.

Der bekannte Pfarrer der Leipziger Nikolaikirche, Christian Führer, hatte Bienert beim traditionellen Friedensgebet am Montag in Schutz genommen. Die Schuld werde an der falschen Stelle gesucht. Die Geiselnahme sei vielmehr eine Folge des „anglo-amerikanischen Krieges im Irak“. Führer rief zum Protest „gegen diese Gewalt und ihre Ursachen“ auf. An das Friedensgebet schloss sich eine etwa halbstündige Mahnwache an, an der der Cryotec-Geschäftsführer ebenfalls teilnahm.

Wegen der aktuellen Zuspitzung der Lage hat der Leipziger Aktionskreis Frieden nun dazu aufgerufen, Kerzen an der Nikolaikirche für die Geiseln und ihre Familien aufzustellen. Sprecher Winfried Helbig forderte zugleich die Kandidaten der am Sonntag stattfindenden Oberbürgermeisterwahl zu einem deutlichen Zeichen der Solidarität auf. „Das vermisse ich bislang im Wahlkampf“, so Helbig.