: Der Held von Fukushima
MASAO YOSHIDA
Jede Katastrophe bringt unweigerlich die Erzählung eines selbstlosen Helden hervor. Unweigerlich, weil es Teil der Massenpsychologie einer entsetzten Öffentlichkeit ist. Sie braucht den Helden, um zu verarbeiten. Auch wenn er stirbt.
So wie nun Masao Yoshida. Er war Chef des Atomkomplexes Fukushima Daiichi während der Nuklearkatastrophe ab 11. März 2011. Als drei der sechs Reaktoren außer Kontrolle gerieten, der Druck im Inneren der Reaktorkerne unaufhaltsam anstieg und niemand sagen konnte, ob und wann sie explodieren, blieb Yoshida, um eine Rumpfmannschaft von 50 Mann zu befehligen.
Als ihn Energieminister Yukio Edano auf dem Höhepunkt der Katastrophe anrief und fragte, ob er sich zurückziehen wolle, antwortete Yoshida nur: „Es gibt hier noch was zu tun. Wir tun unser Bestes.“ So ist es nachzulesen im Untersuchungsbericht des japanischen Parlaments. Vielleicht sagt er es mit der „dröhnenden, energetischen Stimme“, die ihm sein Arbeitgeber Tepco in seinem Nachruf zuspricht.
Ausgerechnet der Mann, der als Chef des Kraftwerks zumindest mitverantwortlich dafür war, dass seit Jahren bekannt Sicherheitsmängel in Fukushima Daiichi ignoriert wurden, wird zum Helden. Journalisten sagte er später: „Ich dachte immer wieder, wir werden hier alle sterben. Ich fürchtete, das Kraftwerk gerät außer Kontrolle und wir wären alle am Ende.“
Wären Yoshida und seine Männer abgezogen, wären die Reaktorblöcke wahrscheinlich explodiert. Die freigesetzte Radioaktivität hätte sich potenziert, die Konsequenzen wären unvorstellbar gewesen. Yoshida blieb, ließ Meerwasser in die Reaktoren leiten, um sie zu kühlen, gegen die Anordnung seiner Vorgesetzten. Er ließ radioaktiv verseuchte Luft ab, was zwar die Umgebung verseuchte, aber unabdingbar war, um eine Explosion der Reaktorkerne zu vermeiden. Was explodierte, war die Außenverkleidung der Gebäude.
Während sich heute noch der Betreiber des Kraftwerks, Tepco, und der damalige Ministerpräsident Naoto Kan streiten, wer für das planlose Management der Katastrophe verantwortlich ist, wird Yoshida über alle Fronten hinweg als der Held von Fukushima geehrt. Er starb im Alter von 58 Jahren an Speiseröhrenkrebs. Laut Tepco hatte die Erkrankung nichts mit der Strahlung, der er ausgesetzt war, zu tun. Das ist zumindest nicht unwahrscheinlich, denn angeblich war Yoshida starker Raucher. INGO ARZT