: Saufen bis zur Mietminderung
Carl Weissner hat Charles Bukowski ins Deutsche übersetzt. Heute Abend stellt er einen Band mit Briefen der Beat- und Trinkerlegende vor
„Hallo Carl, … das weibliche Wesen ist mir ein monumentales Rätsel. Ich muss stark genug werden, um ohne Frauen auszukommen; ohne die da und die da und die da. Nichts als Gezerre und schmutzige Wäsche.“ Charles Bukowski ist gerade 52 geworden und bedankt sich 1972 per Post bei seinem Freund, Übersetzer und zeitweiligem Agenten Carl Weissner für ein Geburtstagsgeschenk. „Ich hatte mir immer vorgenommen, mal 80 zu werden“, schreibt er weiter unten, „aber die Trinkerei scheint doch einen harten Tribut zu verlangen. Habe gerade mein Mittagessen ausgewürgt.“ Bukowski starb vor 12 Jahren an Leukämie, nicht am Suff. Bei seiner Beerdigung wurde der Sarg außer von Sean Penn und dem Wettkumpel „Woody, dem Pferdetrainer“ auch von Carl Weissner mitgetragen.
Weissner lebt in Mannheim, ist Mitte 60, trägt eine Brille und schöpft in sanftem, badisch-hessischem Singsang aus seinem großen Sack voll ganz persönlicher Bukowski-Geschichten. Wie er am Hiroschima-Tag 1968 nach West Hollywood fuhr, um Bukowski kennen zu lernen, mit dem er schon eine Weile in Briefkontakt stand – Weissner gab eine Literaturzeitung heraus und wollte Bukowski dort veröffentlichen. Wie ihn entgegen der Verabredung niemand am Flughafen erwartete und er sich darum auf eine mehrstündige Odyssee begab, bis er Bukowskis versiffte Wohnung gefunden hatte, der „pure Slum“, darin ein verkaterter Schriftsteller, der nicht hatte aufstehen können. Wie Bukowski damals „als Mietminderungsmaßnahme“ regelmäßig mit dem Vermieterehepaar gezecht habe. In Weissners freundlich-fatalistischem Männertimbre und mit der genauen Wortwahl des peniblen Übersetzers klingen die Storys noch unerhörter.
Im soeben bei Gingko Press erschienenen Buch „Schreie vom Balkon“ kann man genau solche Geschichten nachlesen, es sind gesammelte Briefe, die der Dichter zwischen 1958 und 1994 geschrieben hat, an seine FreundInnen und Geliebten, seine Verleger, an Weissner. Galgenhumorig knarzt Bukowski von Geld, Suff, Liebe, Gesundheit und Karriere, ärgert sich über blöde Verleger und verknallte Frauen. Authentischer als jeder seiner Romane haut einen die Leichtigkeit schier um, mit der ihm Beschreibungen oder Lebensweisheiten aus dem Ärmel und aufs Briefpapier purzeln. Weissner, der Übersetzer aller und Adressat sehr vieler dieser Briefe, erzählt von Bukowskis Art zu arbeiten: „Er hat erst spät angefangen, seine Texte zu redigieren“, lange habe er quasi den ersten Take drucken lassen – weil er überzeugt war, dass „ein Text selten besser wird, wenn man ihn verändert“.
Die merkwürdig voyeuristische Bewunderung an seinem eigentlich kaum erstrebenswerten Zustand gründet sich auf diese Authentizität: Wie besoffen war er wirklich, als er von einem Blackout schrieb? Von einer Schlägerei, dem regelmäßigen und ekeligen Ins-Klo-Kotzen, den endlosen Streitereien mit genauso zugedröhnten Frauen? Dass man als Freund, als Besucher nicht unbedingt mitpicheln musste, erzählt Weissner. „Ich habe auch mal stundenlang Tee getrunken und zugeguckt“, es war dem Dichter ohnehin in manchen Zeiten nicht recht, „wenn man ihm seinen Sprit dezimiert“. In seinen Siebzigern war es dann an Bukowski, Tee zu trinken: Er habe, erzählt Weissner, mal ein Dreivierteljahr lang nicht getrunken, wegen Tuberkulose. Der Entzug sei kein Problem gewesen, die künstlerische Produktivität in dieser Zeit allerdings schon.
Weissner und Bukowski schicken sich weiter regelmäßig Briefe, Bukowski ruft seinen Übersetzer oft an, vor allem in den Jahren seiner Krankheit: „Im Gegensatz zu anderen Amerikanern konnte er gut mit dem Zeitunterschied umgehen“, wusste, wann er in Deutschland jemand wach erwischen konnte, wenn er schlaflos nachts im Krankenhausbett lag. Auch die Dreharbeiten zur Bukowski-Verfilmung „Barfly“ hat Weissner mitbekommen, und so erzählt er von Eskapaden des Regisseurs Barbet Schroeder, der damit drohte, sich einen Finger abzuschneiden, wenn sein Budget nicht aufgestockt wird; oder von den Zicken der HauptdarstellerInnen Mickey Rourke und Faye Dunaway, die zwar für wenig Geld mitmachten, darum aber auch Narrenfreiheit beanspruchten.
Weissner, der seit Jahrzehnten Bukowskis Sprache (und die anderer Autoren wie Burroughs, Ginsberg, Dylan) versteht, deutet und in Form bringt, bestätigt einen Unterschied im Stil der 60er-, 70er-Jahre zum heutigen Duktus: „Ich würde es heute anders machen“, sagt er über seine frühen Übersetzungen. Aber damals passte das in Bukowskis alten Büchern hin und wieder etwas rührend-altbackene Halbstarkendeutsch. „Er hat meist für Hippiezeitungen geschrieben“, erinnert sich Weissner, da sprach man dann eben genau so.
JENNI ZYLKA
Carl Weissner liest Bukowski („Schreie vom Balkon“); Screening der Bukowski-Doku „I’m still here“ von Thomas Schmitt; heute, 20 Uhr, Festsaal Kreuzberg, Skalitzer Str. 130