„Die deutsche Hilfe wird nicht gebraucht“

AFGHANISTANEINSATZ Die Regierungsberaterin Citha Maaß meint, dass es für die Deutschen in Afghanistan nichts mehr zu tun gibt, weder militärisch noch zivil

■ 62, ist langjährige Afghanistan-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Sie SWP berät den Bundestag und die Bundesregierung. 2009 hat sie auch die Wahl in Afghanistan verfolgt.

taz: Frau Maaß, hat der Luftangriff von Kundus das Bild von den Deutschen in Afghanistan verändert?

Citha Maaß: Bei den Nato-Truppen, namentlich den US-Amerikanern – ja. Der US-Oberkommandeur Stanley McChrystal ist entsetzt und völlig konsterniert. Bei den Afghanen gibt es zwei Lager, deren Größe schwer abzuschätzen ist. Die einen begrüßen es, dass die Deutschen endlich militärische Stärke gezeigt haben. Die anderen verurteilen die außergewöhnlich hohe Zahl ziviler Opfer.

Der Angriff traf Paschtunen, die im Norden eine unbeliebte Minderheit bilden. Verzerrt sich dadurch die Reaktion der Afghanen?

Vorsicht mit Generalisierungen! Man neigt dazu, die Ethnien gegeneinanderzustellen. Das ist schon deshalb gefährlich, weil man dabei die Rivalitäten der Paschtunen-Familien untereinander übersieht. Speziell Kundus ist ein ganz fein gewebter ethnischer Flickenteppich. Ich unterscheide lieber zwischen denen, die von den Taliban und sonstigen Aufständischen drangsaliert werden und den Luftangriff eher gutheißen, und denen, die sich sicher fühlen.

Der Bundeswehr wird vorgeworfen, Menschenrechtsverletzungen zu decken, die lokale Machthaber speziell an Paschtunen begehen.

Zu Recht. Das fängt schon beim Gouverneur von Kundus, Mohammed Omar, an, einer zwielichtigen Gestalt, die im Ruf steht, vollkommen korrupt zu sein. Mit ihm und seinen Leuten dürfte die Bundeswehr eigentlich gar nicht mehr zusammenarbeiten. Omar ist schon auffällig lange im Amt. Er ist im Netzwerk des paschtunischen, islamistischen Hardliners und Kriegsverbrechers Sajaf, hält aber auch Kontakt zu den Milizen des gesuchten Warlords Gulbuddin Hekmatjar. In jüngster Zeit hat Gouverneur Omar nun angefangen, die Bundeswehr unter Druck zu setzen, indem er ihr vorwarf, feige zu sein.

Stimmt es, dass die örtlichen Milizenführer den Norden im Griff haben und die Bundeswehr nie ein militärisch ernst zu nehmender Faktor war?

Ja. Die Deutschen waren schon seit 2004, seit der Gründung des deutschen Provincial Reconstruction Teams, des Stützpunkts in Kundus, auf den Schutz der lokalen Machthaber angewiesen, insbesondere von General Daud. Daud hat seine Truppen formal demobilisieren lassen, aber in Wirklichkeit seine Milizsoldaten weiterhin einsatzbereit gehalten. Wenn Bundeswehrleute in Kundus sagen, „die Milizen könnten uns hier in wenigen Tagen von der Platte putzen“, haben sie recht.

Welchen Sinn hat dann die Bundeswehrpräsenz?

In den ersten Jahren hatte sie schon eine wichtige psychologische Wirkung. Die Bevölkerung hoffte einfach, die Deutschen würden helfen, die Kämpfe der Kriminellen einzudämmen. Seit 2006 aber wagt sich die Bundeswehr nur noch gepanzert aus dem Lager und hat nur noch wenig Kontakt zur Bevölkerung. Gleichzeitig hat die Kabuler Regierung darin versagt, den Leuten Vertrauen einzuflößen. Die Menschen sind jetzt frustriert, die Stimmung hat sich stark verschlechtert. Ich glaube, es ist richtig, wenn die Bundeswehr nächstes Jahr mit dem Abzug beginnt.

Die Arbeit des Kundus-Untersuchungsausschusses erhöht den Druck auf die Bundesregierung, 2011 den Abzug wirklich einzuleiten. Die zivile Hilfe wird verstärkt. Hat so der Luftangriff von Kundus vielleicht etwas Sinnvolles bewirkt?

Nein, ich bin dagegen, dass die zivile Hilfe derart hochgefahren wird. Wir haben längst das Problem, dass die Mittel nicht mehr gesteuert, sondern in die falschen Taschen abfließen und die Korruption eher noch verstärken. Wenn die US-Truppen jetzt in den Norden kommen, werden sie auch die Entwicklungshilfe-Organisation USAID mitbringen, und das Gebiet wird mit Geld überflutet. Ich hoffe, wenigstens ein Teil fließt in vernünftige Arbeitsbeschaffungsprogramme.

Immerhin hat auch Deutschland sich jetzt Ziele gesetzt, bis wann wie viele Männer in Lohn und Brot stehen sollen.

Man wird, um die statistisch gewünschten Ziffern zu erreichen, auf schnell wirksame Projekte setzen. Doch entscheidend ist in Afghanistan jetzt, was nachhaltig wirkt.

Sie klingen deprimiert.

Ich bin deprimiert. Die Zeitspanne zwischen dem Amtsantritt von Barack Obama und der Präsidentschaftswahl in Afghanistan war zu kurz, um beispielsweise eine Übergangsregierung einzusetzen. Obamas neue Strategie konnte nicht so schnell greifen. Es gab keine Chance für demokratische Prozesse und dafür, die korrupte Regierung von Hamid Karsai unter Kontrolle zu bringen. INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN