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Archiv-Artikel

Mann gegen Mann

Gewalttätige Gangs sind kein neues Phänomen – auch wenn es gern so dargestellt wird. Seit den 50er-Jahren erproben Jungs ihre Männlichkeit

VON JAN FEDDERSEN

Gäbe es den Film „Knallhart“ nicht, hätte das, was sich Tag für Tag in Neukölln wirklich ereignet, kaum eine Chance, überregionales Interesse zu finden: Die Kinoproduktion spielt eben in jenem Kosmos Berlins, in dem Maskulinität zählt, und zwar eine, die Gewaltforscher Joachim Kersten „archaisch“ nennt und dysfunktional zugleich – auf Muskelkraft kommt es im Leben kaum noch an.

Rohe Jugendliche, das erfahren wir, sind nicht zimperlich und zermörsern einen Gleichaltrigen aus besseren Kreisen Kraft ihrer maskulinen Attitüden. Wie ein Soundtrack kamen denn auch „schwere Prügeleien“ im echten Neukölln zur Sprache, man raunte etwas von Gangs, von Banden und anderen gefährlichen Rottungen, die nachts die Straßen unsicher machen.

Tatsächlich ist dieser Film, wenn man ihn als Zeugnis für das Heutige verstehen möchte, nur ein wiedergängerisches Produkt – der Klassiker heißt „Die Halbstarken“, stammt aus dem Jahre 1956 und reflektierte damals eine Fuffzigerjahrestimmung, die die biedere, christlich aufgeheizte Bundesrepublik als furcht- und schreckenserregend empfand. Halbstarke – das war nicht die Eigenbezeichnung jener männlichen Jungmänner, aber es war das Label, mit dem man sie brandmarkte. Der Film war eine Reaktion auf einen Vorfall aus dem Jahre 1953, als am so genannten Vatertag ein alkoholisierter Umzug von jungen Männer in Hannover in eine Schlacht mit der Polizei geriet. Männer, das war man doch bis 1945 gewohnt, erkämpften ihre Männlichkeit über das Dasein als Soldaten, als Kanonenfutter, nie als Individuen, die gegen die Väter nicht muckten.

Halbstarke, das waren in erster und letzter Linie proletarische Jugendliche. Die „Buschmusik“ hörten, also Elvis, die ihre Kraft nicht intellektuell elaborierten, sondern, zum Neid ihrer Generationsgenossen, die in gymnasialen Codesystemen steckten, Männlichkeit auf drohende Kraft reimten – die das Geld hatten, um schon früh im Konsumuniversum der Bundesrepublik mitzuspielen. Sie konnten sich als Lehrlinge mit erhöhtem Taschengeld Mopeds leisten, Platten kaufen, eine Lederjacke anziehen, cool sein, so wie Marlon Brando oder James Dean.

Echte Straßenfeger, Macker, die gern rauften, gerade um Konflikte zu schlichten: Situationen wie in „High Noon“ waren stilbildend. Mann gegen Mann, nicht Wort gegen Wort. Argumente hatte man in den Fäusten und in der Hose, aber nicht im Kopf. Halbstarke, das waren Rebellen aus einem einzigen Grund: Aufmerksamkeit zu organisieren, gegen Uniformen zu sein, und gerade gegen die Uniformiertheit der Nazialtvorderen. Was in den „Halbstarken“ als gültig sichtbar werden konnte, war der krasse Wille, etwas zu sein: Am besten mit der eigenen Karre, dem Chevy, später dem Bike, Zeichen der Mobilität, nicht mehr eingesperrt zu sein in Verhältnisse, sondern Horizonte zu erobern, aber nicht kriegerisch.

Und diese Halbstarken hat es seit Anfang der Fünfziger immer gegeben, wenn auch später unter anderen Namen. Ende der Sechziger waren es schließlich die Rocker, die ihre dröhnende Männlichkeit ausprobierten: Gewalttätig in den Attitüden auch sie – weil sie nicht anders wollten. Politisch waren sie im Übrigen schon Teile der Zöglingssysteme der politisch korrekten neuen Mittelschichten, der Achtundsechziger, therapeutische Objekte, manchmal, in Putztruppen, so etwas wie Kettenhunde. Die Halbstarken waren bis dahin noch in Frieden gelassen worden – den Spießbürgern des Westens waren sie eine zersetzende Kraft, genährt durch den Osten –, und den Gartenzwergen des Ostens waren sie eine westliche Subversion zur Zerstörung der proletarischen Kampfkraft.

Und sie alle, wie später, in den Achtzigern die Hooligans, vor einem Jahrzehnt die Neonazis, wussten immer, dass sie sich ungebärdig benehmen konnten – denn die Polizei würde immer ein Auge auf sie haben. Es war immer ein gewisses Risiko im Spiel, ein Halbstarker zu sein; eine Grenzüberschreitung zu viel hieß schon Gefängnis, Jugendknast. Und die meisten wollten diese Institutionen natürlich meiden: Gefährlich zu leben war eine Ingredienz, die zum Spiel gehörte – aber nicht auf eine Weise, die den originären Lebensplan, einen schier bürgerlichen, zerstören würde.

Auffällig ist nämlich, dass das Konzept der Jungmännlichkeit als eigener Lebensform immer ein zeitlich begrenztes war. Anfang zwanzig, sagen Jugendforscher wie Joachim Kersten, geht es zum familiären Plan über. Die Freundin wird zur Frau, und aus der Verbindung kommen Kinder und eine bürgerliche Existenz – das Vorleben ästhetisch nur bewahrt über, möglicherweise, eine Vorliebe für Elvis-Presley-Tonträger.

Die Abgrenzung dieser Jugendkulturen galt obendrein immer den Vätern, den Vorfahren – noch mächtiger aber den Klassenschnöseln. Wenn unter Halbstarken eine andere Jugendsorte verpönt war, dann die Exis, die schwarze Rollkragenpullover trugen und Jazz hörten. Taugt so ein Habitus überhaupt, Weiber abzuschleppen? Aus Sicht von Halbstarken unmöglich – Männer, die nicht mal saufen können, nicht über die Stränge schlagen. Und immer war im Zusammenhang von Halbstarken, Rockern oder Jugendlichen in Neukölln die Bürgerangst artikuliert, nun würde alles schlimm werden. Unzutreffend. Die Kriminalitätsrate ist auch aktuell in Berlin gesunken – so wie schon früher die Deliktrate fiel, wenn die Betreffenden älter wurden.

Denn das wussten Halbstarke schon in den Fünfzigern: Rebellion als Pose ist sexy, als Dauerübung anstrengend. Irgendwann will jeder mal die Füße hochlegen, und sei es flankiert durch einen Kasten Bier. Das ist auch in Neukölln oder in Kreuzberg oder im Wedding – also in allen Vierteln der Fall, wo sich Jungscliquen prügeln, weil man sich schlägern will und der Streit um ein Mädchen ein erhitzenswerter Vorwand ist. Doch auch sie, die sich in Neukölln kleinere Schlachten lieferten, sind so bürgerlich, wie es eben geht: ein bisschen Training für die schwere Übung, ein Mann zu werden. Und zwar ein Mann, der einen Schwanz hat und bloß nicht schwul ist; der die Familie ernährt – und das am liebsten mit Muskelkraft, nicht mit Geschwafel. Die es gern haben, wenn die anderen Angst vor ihnen haben, weil in ihren Familien niemand sie fürchtete. Hormonell aus der Balance geratene Jungs, die immer darauf hoffen, dass sie den inneren Kampf um Männlichkeit auch bewältigen – und eine hübsche Frau abbekommen, eine, die den Kumpels ein anerkennendes Raunen abnötigt.

Das ist zu mittelschichtigen Inszenierungen der Adoleszenz nicht wirklich unterschieden, aber, und das wissen all diese Jungs, das wirkt wesentlich sexyer, das hat den Appeal von Wildheit und Taffness, die keine schöne Rede über die Kraft in den Schriften Hermann Hesses aufwiegen kann. Sie wissen um die Signaturen, die ihr Körperselbst öffentlich stiftet – und sie ahnen, dass das im Berufsleben, wo es auf Teamwork und Kommunikationsfähigkeit ankommt, nicht nützt. Aber eine Zeit lang mal echt die Sau rauslassen, den Affekten Zucker geben und der Wut ein Kanalsystem: Das ist viel besser, das ist verführerischer als alles, was die therapeutischen Programme aller Betreuungssysteme zu bieten haben.

Denn die, ob sie sich Neonazis zuwenden, den Rockern, den Halbstarken, den türkisch-arabischen „Gangs“, die haben immer nur das Gerede, die Zeigefinger und die Einhegung. Die sagen auch nur: Mach mal halblang. „Denn sie wissen nicht, was sie tun“, hieß der Film, in dem James Dean der berühmteste Jugendliche der Nachkriegszeit wurde. Halbstarke wussten das meiste vielleicht nicht so genau, aber sie taten es treffsicher: Man bekam vor ihnen Respekt. Hatte Angst und mied die dunklen Ecken der Stadt. Selbst Mopedgedröhn war eine aggressive Geste.

Im geilen Schlitten durch die Straßen cruisen, Sonnenbrillen auf der Nase, klunkerige Uhren am Handgelenk, Anzüge als Outfit wie in „Miami Vice“: Den Macker rauskehren. Das ist zwar nicht gebildet, das wirkt billig und irgendwie unfein, geschmacklich zu fett. Aber ungemein beeindruckend – bei Mädchen. Und bei pickeligen Jungs. Da können die noch so gebildet sein: Am Ende hat man immer Kraft genug, dem anderen das Handy abzuziehen. Ist zwar doof, aber die Geste, es zu können, die zählt.