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Archiv-Artikel

„Betriebsrenten stärker zur Pflicht machen“

Staatliche Renten schrumpfen, ohne Zusatzversicherungen auszubauen, kritisiert Sozialexperte Diether Döring

taz: Herr Döring, wie gut ist die deutsche Rente?

Diether Döring: Bislang spielt das deutsche Rentensystem international in der ersten Liga – trotz der bereits seit 1990 vorgenommenen Kürzungen für die jetzigen Rentner. Die heute 35-Jährigen und Jüngeren jedoch werden eher die spartanische Variante eines Rentensystems erleben: Sie bekommen nur eine Basissicherung à la Niederlande, Schweiz oder Dänemark.

Deren Sozialsysteme genießen doch einen guten Ruf?

Zu Recht: Die Niederlande etwa koppeln seit den 1960er-Jahren eher magere staatliche Armutsvermeidungsrenten mit enorm starken Betriebsrenten. Dadurch kommen die niederländischen Renten insgesamt auf ein eindrucksvolles Niveau. Hierzulande jedoch lässt man die staatliche Rente schrumpfen, ohne die Zusatzsicherung ausreichend auszubauen.

Rentenminister Müntefering berichtet stolz von fünf Millionen Riester-Renten …

Der Anstieg der Riester-Verträge ist positiv. Aber das heißt überhaupt nicht, dass auch alle privat vorsorgen. Große Lücken zeigen sich vor allem bei Großfamilien und Menschen mit unterdurchschnittlichen Einkommen. Mein Vorschlag: Betriebsrenten stärker verpflichtend zu machen, um diesen Gruppen mehr Vorsorge zu ermöglichen.

Und die Arbeitslosen und Selbstständigen?

Für die muss die Riester-Rente noch attraktiver werden: Unter anderem muss sie noch unkomplizierter werden.

In der Annahme, dass die freiwillige Vorsorge sich bei den Risikogruppen nicht durchsetzt, reden viele Rentenforscher von künftig einem Drittel Armutsrenten.

Das Drittel ist eine gegriffene Zahl, die aber realistisch klingt. Zum Beispiel eine Teilzeit arbeitende Frau, die 40 Jahre in die Rentenkassen einzahlt, wird später nicht über die Schwelle der Grundsicherung kommen.

Warum sollte sie dann überhaupt noch in die gesetzliche Rente einzahlen?

Hier stößt das System an seine Legitimationsgrenze. Wir haben die Rentenansprüche für die Jungen so gekürzt, dass die Zahlung von Rentenbeiträgen für Geringverdiener eigentlich sinnlos ist. Daraus kann nur folgen, dass künftig in der Rentenformel eine stärkere Begünstigung von Niedrigeinkommen eingebaut wird. Zudem wäre wichtig, das System in der Abgrenzung der Versicherungspflicht auf die moderne Erwerbslandschaft auszurichten. Dann erreichen alle Erwerbstätigen eher eine ausreichende Rente, die über der Grundsicherung liegt und nicht bloß bei Bedürftigkeit bezahlt wird.

INTERVIEW: ULRKE WINKELMANN