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Auf der Suche nach Klarheit im Bau der Welt

LEBENSWERK Michael Scharang erzählt von einer Männerfreundschaft und gönnt sich den Entwurf einer besseren Welt auf kleinem Raum: „Komödie des Alterns“

Alles, was Pop ist, scheint hier in stiller Panik zur vollendeten Satzperiode gebannt

VON EKKEHARD KNÖRER

Ein Ägypter mit Liebe zur deutschen Sprache. Ein Österreicher mit Liebe zur Literatur. Namen wie ausgedacht: Heinrich Freudensprung, Zacharias Sarani. Michael Scharangs „Komödie des Alterns“ erzählt die Geschichte ihrer Freundschaft im Rückblick, vom möglichen Ende her. Es ist zum Streit gekommen, Hass verzehrt die beiden, sie unterstellen der eine dem anderen großen Verrat. In Satzperioden, die ausgefeilt unangestrengt sprungbereit sind, berichtet das Buch, wie es zu dem kam, was nun ist, und es tut dies im alles andere als raunenden Konjunktiv distanziert nah am Bewusstsein seiner Figuren.

Kennen lernen Sarani und Freudensprung einander im Stahlwerk über flüssigem Metall. Da finden zwei sich fürs Leben, da schmieden sie einen Bund. Sie teilen in Grundzügen eine Sicht auf die Welt: gottlos, dem Kapitalismus feind, dem Leben zugewandt, Freunde der Neuerung, aufgeklärte Vertreter des Trotzdem. Es ist, darf man wohl sagen, ihre Sicht der des Autors verwandt, der dem Schriftsteller Freudensprung in manchem biografischen Detail ähnelt. In ägyptischer Wüste arbeiten Zacharias und Heinrich an einem Landschaftsprojekt. Wo Sand ist, soll Farm werden, um Einrichtung des Lebens geht es dabei, eine genossenschaftliche Praxis gemeinsamer Arbeit. Ein Lebenswerk im buchstäblichen Sinn, gekrönt durch die Gründung einer Akademie, die der Praxis dann Theorie abgewinnen soll, wie die Wüstenarbeit dem Grund und dem Boden das Wasser, die Früchte, den Lohn.

Es scheint dies Projekt dem, was Eduard und Charlotte bei Goethe und dem, was zahlreiche Adalbert-Stifter-Figuren tun, durchaus wahlverwandt. Wo aber bei Goethe der Versuch der sanften Hegung unkontrollierbarer Kräfte im Desaster mündet und Stifter alle Beruhigung einer hinter allem spürbar waltenden Gnadenlosigkeit immer nur vorläufig abgewinnt, da gönnt Scharang seiner Geschichte, seinen Helden, seinem Entwurf einer besseren Gesellschaft auf kleinem Raum ein freundlicher offenes Ende. In diesem Sinn ist das Buch, das heiter sehr viel eher als komisch ist, was es zu sein im Titel verspricht: eine Komödie. Man liest sie mit Wohlgefallen, teilt die Sympathie, mit der der Autor seine leicht donquichottesken Helden betrachtet.

Auf den ersten Blick steht das Buch in frappierender Nähe zu Walter Kappachers „Selina“-Roman, der gleichfalls einen Heinrich im Schilde führt auf der Suche nach einem anderen Leben. Allerdings nicht in ägyptischer Wüste, sondern in der Toskana. Lehrreiche Unterschiede ums Ganze machen diese Werke aber zu bei näherer Betrachtung diametral fast entgegengesetzten Entwürfen. Kappacher ist ein konservativ-melancholisch-abgründiger Idylliker auf der Suche nach Reinheit. Bei Scharang, dem Linken, der das Tun seiner Figuren stets auf die Allgemeinheit als soziales Faktum bezieht, geht es, und man sieht sehr schnell, dass das ganz etwas anderes ist, um Klarheit: des Schreibens, des Denkens, des Baus einer Welt. Dass dahinter jeweils sehr spezifische – und spezifisch problematische, weil entschärfende – Jean-Paul- bzw. Goethe-Lektüren stehen, gibt der Sache noch dazu eine literarhistorisch interessante Pointe.

In einem irritierenden, ästhetisch durchaus avancierten Kulturkonservatismus treffen sich Kappacher und Scharang dann aber doch. Nicht nur die stets reaktionäre Suche nach Reinheit, auch der Fetisch der Klarheit erweist sich als seltsam rückwärtsgewandt. Aus den „Wahlverwandtschaften“ als der Tragödie eines Gesellschafts- und Naturbefriedungsversuchs macht die „Komödie des Alterns“ ein Stück Aufklärungsliteratur. In den Diskussionen der Freunde über die Baukunst, die Musik und sehr buchstäblich Gott und die Welt herrscht etwas, das man eigentlich nur wackeren Biedersinn nennen kann. Alles, was an spätkapitalistischer Kultur fasziniert, – man kann auch sagen: alles, was Pop ist – scheint hier in stiller Panik zur vollendeten Satzperiode gebannt, die noch den Großstadtlärm von New York zur harmonischen Komposition umschreibt. Mitten in unserer Gegenwart atmet Scharangs Roman die glasklar-vernünftige Luft des 18. Jahrhunderts. Das macht ihn zur Utopie im guten Sinn wie im schlechten. Er entwirft eine sozial und ästhetisch bessere und einfachere Welt, zeigt sich dabei aber sehr punktuell nur bereit, die schlechtere, aber real-komplizierte, in der wir leben, zur Kenntnis zu nehmen.

Michael Scharang: „Komödie des Alterns“. Suhrkamp, Berlin 2010, 253 Seiten, 19,80 Euro

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