: Verherrlicher des Hässlichen und Gemeinen
KUNSTGESCHICHTE Heinrich Zilles widersprüchliche Rezeption im Nationalsozialismus thematisiert eine kleine Ausstellung in Berlin
VON BRIGITTE WERNEBURG
„Nur Lokalredakteure von Massenblättern erinnern sich seiner in der Sauren-Gurken-Zeit“, schreibt Matthias Flügge, Rektor der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, im Katalog zur aktuellen Ausstellung „Typen mit Tiefgang. Heinrich Zille und sein Berlin“ im Museum für Kunst und Technik in Baden-Baden.
Weil es also wieder einmal so weit ist, wir aber weder Lokalredakteur noch Massenblatt sind, möchten wir überregional die kleine Kabinettausstellung einer wirklich lokalen Einrichtung, nämlich des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim, würdigen. Im Rahmen des Berliner Themenjahrs 2013 „Zerstörte Vielfalt“ beleuchten die Ausstellungskuratoren Sabine Meister und Pay Matthis Karstens unter dem Titel „Zensur und Willkür“ das „Werk Heinrich Zilles im Nationalsozialismus“. Und diese Untersuchung begründet auch das überregionale Interesse. Denn das Werk Heinrich Zilles ist wie kaum ein anderes in seine Rezeption verheddert.
Dieser Umstand drängt zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dieser Rezeptionsgeschichte, innerhalb der der nationalsozialistische Umgang mit Zille noch kaum je wirklich ausgeleuchtet wurde. Ihn aufzuzeigen, scheint schon deshalb geboten, weil er die späteren Lesarten Zilles in der Bundesrepublik beziehungsweise der DDR mitbestimmt hat. Selbst der lohnenswerten Baden-Badener Schau kommt dieses Problem nicht in den Blick.
Schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren Zille und Zensur ein Begriff. So wurde Zille 1921 zu einer Geldstrafe verurteilt und der Verkauf seiner aus dem Prostituiertenmilieu hergeleiteten „Zwanglosen Geschichten und Bilder“ im Gurlitt Verlag untersagt. Großes Medienecho hatte 1925 auch der Streit um die an sich völlig harmlose Grafik „Modellpause“ für den Simplicissimus, als das Gericht Zille zwang, die Druckplatte unbrauchbar machen.
An diese Zensurfälle konnten die Nazis freilich nicht nahtlos ansetzen. Dass sie sich am vermeintlich pornografischen Zille störten, verstand sich von selbst, ideologisch untragbar war aber vor allem der „Verherrlicher des Hässlichen und Gemeinen“, als den die Schriftleiterin der Deutschen Kunstkorrespondenz und der Deutschen Bildkunst, Bettina Feistel-Rohmeder, Zille sah. Und da der Künstler, als er am 9. August 1929 starb, eine Berliner Institution, ein wirklicher Medienstar der Weimarer Republik war und sein Werk enorm populär, hieß es vorsichtig vorzugehen. Man rückte ihn in die ganz linke Ecke, entfernte ohne großes Brimborium die Gedenktafel an seinem ehemalige Wohnhaus und verbot den Film „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“, der auf einer Idee Zilles basierte. Auch die Bücher sollten ohne großes Aufsehen allmählich verschwinden. Dass er Opfer der Bücherverbrennungen wurde, ist entsprechend nicht belegt.
Problematischer als Unterdrückung und Zensur, so zeigt es die Ausstellung in Charlottenburg in einer klugen Gegenüberstellung von zensiertem und redigiertem Werk, war die versuchte Vereinnahmung Zilles, die vor allem der SA-Standartenführer Otto Paust betrieb. Zwar scheiterte er damit, den Antisemiten Zille zu zeigen, weil selbst er das entsprechende Bildmaterial nicht fand. Doch konnte er einerseits Zille erfolgreich zum künstlerischen Einzelgänger stilisieren, der bei aller Sozialkritik „das Starke und Echte im Volke nicht vergaß“, andererseits das Werk historisieren, so dass es zur Folie wurde, vor der die Fortschritte des NS gepriesen werden konnten. Hier begann die Entwertung des zeitkritischen Werks zum Anekdotenschatz aus der sogenannten guten alten Zeit, an das man sich nur noch in der Sauren-Gurken-Zeit erinnert.
■ Bis 13. Oktober, Villa Oppenheim, Berlin, Katalog (Vergangenheitsverlag) 16,90 Euro; bis 1. September, Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts, Baden-Baden, Katalog (Athena) 19 Euro