: Nazis müssen Slalom laufen
Innensenator Körting will NS-Gedenkstätten vor Nazi-Demonstrationen schützen. An Gedenkorten wie dem Jüdischen Museum sind Aufmärsche verboten, die die „Würde der Opfer verletzen“ können
VON NINA APIN
Nazis dürfen künftig nicht mehr vor der „Topographie des Terrors“, der Neuen Wache und anderen Berliner Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus demonstrieren. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) legte am Dienstag den Entwurf für ein Berliner Gedenkstättenschutzgesetz vor. Darin listet Körting 14 Gedenkorte auf (siehe Kasten), in deren Umkreis Demonstrationen, welche „die Würde der Opfer verletzen“ könnten, mit Auflagen oder Verbot belegt werden können.
Die Liste „historisch herausragender“ Orte mit „überregionaler Bedeutung“ wurde zusammen mit verschiedenen Betroffenenorganisationen erarbeitet, sagte Martin Steltner, der Sprecher der Innenverwaltung. Darüber hinaus benennt der Gesetzentwurf 500 weitere Orte des NS-Widerstands, für die das Demonstrationsverbot allerdings nicht gelten soll. Eine Aufteilung in Gedenkorte erster und zweiter Klasse will der Innensenator darin nicht erkennen: Jeder Ort sei gleich wichtig, betont die Pressemitteilung. Die besondere Heraushebung überregional wichtiger Gedenkorte sei vom Bundesgesetzgeber gefordert.
Die Grundlage für das Berliner Landesgesetz, das noch vor den Wahlen im Herbst verabschiedet werden soll, ist eine im vergangenen Jahr vom Bund beschlossene Verschärfung des Versammlungsrechtes. Durch den Bundestagsbeschluss vom März 2005 sollte per Gesetz verhindert werden, dass die NPD am 8. Mai durch das Brandenburger Tor und am Holocaust-Mahnmal vorbeimarschiert. Das erklärt auch, warum das Holocaust-Mahnmal nicht auf Körtings aktueller Liste steht. Als vom Bund getragene Einrichtung genießt es bereits seit 2005 gesetzlichen Schutz.
Das Demonstrationsverbot ist laut Körtings Sprecher ein Instrument, mit dem Innenverwaltung und Polizei „schnell eingreifen können“, wenn Neonazi-Umzüge drohen.
Auch Alice Ströver, die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, begrüßt den Gesetzentwurf – allerdings mit Einschränkungen. „Gut gemeint, aber wenig durchdacht“, urteilt Ströver und kritisiert die Liste des Senators. Dass abgelegene und eher unbekannte Stätten wie die der „Köpenicker Blutwoche“ geschützt werden sollen, nicht aber das mitten in der Stadt gelegene ehemalige Sammellager an der Rosenstraße, leuchtet Ströver nicht ein. Unverständlich ist ihr auch, warum der Senat das Jüdische Museum als Gedenkstätte einstuft, nicht aber das Centrum Judaicum mit der Synagoge.
Das Brandenburger Tor und die Synagoge an der Oranienburger Straße wird auch das neue Gesetz nicht nazifrei halten können. Beide Orte sind keine Denkmäler für Opfer der Nazi-Herrschaft und stehen somit nicht auf Körtings Liste. Dennoch sind beides geschichts- und symbolträchtige Gebäude, die als Ausweichroute für demonstrierende Neonazis in Frage kämen.
Dies zu verhindern, bleibt weiterhin Sache engagierter Bürger. Annetta Kahane, Mitglied des Bündnisses „Europa ohne Rassismus“, das letztes Jahr den Nazi-Aufmarsch am Brandenburger Tor durch eine Gegenveranstaltung verhinderte, fühlt sich durch das neue Gesetz entlastet: „Wir müssen jetzt nicht mehr ganz so viele Orte und Daten im Blick haben“, sagt sie. Als Demokratin bedauert Kahane, die auch Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung gegen Rechtsextremismus ist, das Gesetz aber. Das Demonstrationsverbot sei eine Kapitulation, findet sie. „Statt eines Gesetzes würde ich mir eine vitale Gesellschaft wünschen, die sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort gegen Rechtsextremismus engagiert.“