: „Viele dachten, sich zu wehren sei etwas Illegales“
BETRIEBSRAT Für Ulrike Schramm-de Robertis war Verkäuferin ein Traumberuf, doch bei Kik, Plus und Lidl lernte sie Mobbing und Ausbeutung kennen. Sie gründete einen Betriebsrat und hat ein Buch geschrieben
■ Die 46-Jährige arbeitet seit über 30 Jahren in Supermärkten. Heute ist die fünffache Mutter Leiterin einer Lidl-Filiale mit 17 Mitarbeitern in Bamberg und – gerade in ihrem Amt bestätigte – Betriebsrätin Foto: Jürgen Bauer
taz: Frau Schramm-de Robertis, Sie haben über Ihre Erfahrungen in Discountern wie Lidl ein Buch geschrieben. Warum?
Ulrike Schramm-de Robertis: Um auf die dortigen Missstände aufmerksam zu machen, aber auch, um mich von meinen Erlebnissen zu befreien. Ich konnte mir nicht vorstellen, was Mobbing ist, dann wurde ich selbst Opfer davon und dachte zeitweise, ich steh das nicht durch.
Sie haben sich gegen die Zustände bei Lidl gewehrt. Daraufhin wurden Sie gemobbt. Welche Rolle spielen Druck und Angst bei Lidl?
Eine große. Man denkt, nur durch Einschüchterung und Aggressivität der Vorgesetzten bringen die Angestellten Höchstleistungen. Und tatsächlich schaltet man einfach sein Gehirn aus, ohne zu wissen, dass man auch Rechte hat. Man hat die Angst im Rücken: Morgen krieg ich meine Kündigung.
Sie haben bald kein Blatt mehr vor den Mund genommen, beim Lesen Ihres Buchs befürchtet man oft: Jetzt kommt die Kündigung. Letztlich aber konnten Sie einen Betriebsrat gründen. War das schwierig?
Sehr schwierig. Meist arbeiten bei Lidl junge Mädels, und die kennen ihre Rechte nicht. Woher auch? In der Schule spricht man nicht darüber, und wo es keinen Betriebsrat gibt, schon gar nicht. Viele dachten, sich zu wehren sei etwas Illegales. Sie wechseln lieber den Arbeitsplatz, wenn sie können. Also brauchte es mich als Leithammel. Aber ich hatte auch Angst. Ich habe fünf Kinder und ein Haus abzubezahlen, habe aber gedacht: Ich habe außer Lidl noch ein Leben – und das mache ich mir kaputt.
Es gibt gerade mal sechs Betriebsräte bei bundesweit 3.000 Lidl-Filialen. Was hat sich nach Ihrer Betriebsratsgründung verändert?
Die ständig geleisteten, unbezahlten Überstunden wurden sofort abgestellt. Wir haben Urlaubssperren beseitigt und mussten nicht mehr ständig auf Abruf arbeiten. Das ganze Klima im Betrieb ist besser geworden, der Verkaufsleiter respektiert uns. Auch bei den willkürlichen Gehaltseinstufungen konnten wir etwas ändern. Das Miteinander war da, die Angst war weg.
Hat sich etwas bei der Bespitzelung der Mitarbeiter geändert, für die Lidl so in Verruf geriet?
Ich weiß, dass zumindest in meiner Filiale und Gesellschaft – es gibt bei Lidl 35 Gesellschaften, und jeder sind etwa 120 Filialen angeschlossen – Datenschutz jetzt groß geschrieben wird. Man hat sich mit dem Betriebsrat abgefunden. Aber unser Betriebsrat ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Vor ein paar Wochen überraschte Lidl mit einem Mindestlohn-Vorstoß. Was halten Sie davon?
Lidl kann ja nichts passieren, sie zahlen Tariflohn, 13 Euro die Stunde. Das ist aber im derzeitigen harten Preiskampfwettbewerb, vor allem mit Netto, ein Nachteil. Also haben sie ein Interesse am Mindestlohn. Ich hoffe aber, das geht nicht nach hinten los: dass Lidl dann, wenn es einen Mindestlohn gibt, aus dem Tarifverband austritt und auch nur noch Mindestlohn zahlt.
Als Kind haben Sie am liebsten mit dem Kaufladen gespielt, mit 15 begannen Sie Ihre Lehre im Einzelhandel. Ist Verkäuferin heute noch Ihr Traumberuf?
Ja, denn man hat viel mit Kunden zu tun, nicht so viel mit den Chefs. Leider gibt es heute viele unmoralische Arbeitgeber. Nehmen Sie Netto zum Beispiel: Viele alte Lidl-Verkaufsleiter, die auch bei mir im Buch vorkommen, sind dort jetzt Big Bosse geworden, und man hört nicht gerade Positives vom Umgang mit den Mitarbeitern. Netto diktiert mittlerweile nach der Fusion mit Plus die Preise, wir ziehen ständig nur nach. Das ist ein Preiskampf ohne Ende, und es könnte sein, dass sich auch bei uns die Arbeitsbedingungen wieder ändern. Ich bekomme schon jetzt wieder mehr Hilfeanrufe aus anderen Filialen.
INTERVIEW: EVA VÖLPEL
■ Ulrike Schramm-de Robertis: „Ihr kriegt mich nicht klein“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 208 Seiten, 7,95 Euro