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Archiv-Artikel

ISRAEL WILL ANNEXIONEN, KEINEN FRIEDEN MIT PLO ODER HAMAS Scharons Erbe – die gewollte Sackgasse

Jähes Erschrecken ist unangebracht. Die Absicht des designierten israelischen Ministerpräsidenten Olmert, die künftigen Grenzen seines Landes gegenüber Palästina einseitig festzulegen, entspricht genau der von Ariel Scharon seit 2004 verfolgten politischen Linie. Deren Logik bestand und besteht in der Aufgabe des Gaza-Streifens sowie verstreuter israelischer Siedlungen auf der Westbank, um im Gegenzug die israelischen „Siedlungsblöcke“ im Westjordanland sowie das Jordantal selbst Israel einzuverleiben – egal, wer in Palästina regiert. Auch in seinen jüngsten Äußerungen bezeichnet Olmert es als Ziel seiner Regierung, durch ein israelisches Territorium mit überwiegend jüdischer Bevölkerung der „israelischen Identität“ neue Schubkraft zu verleihen. Also Entmischung und Befestigung kraft Annexion.

Dieses Projekt ist für die palästinensische Seite unannehmbar. Das Territorium eines zukünftigen palästinensischen Staates würde zerstückelt, die durch den israelischen Mauerbau annektierten Gebiete wären endgültig Israel zugeschlagen und jede Hoffnung, Ostjerusalem zur Hauptstadt Palästinas zu machen, zunichte gemacht.

Offensichtlich setzt Olmert hier auf die „normative Kraft des Faktischen“, das heißt auch auf die internationalen Kräfteverhältnisse. Immerhin hat der amerikanische Präsident Scharon schon April 2004 zugesichert, dass die „Siedlungsblöcke“ auf der Westbank bei Israel verbleiben würden. Würden sich die Palästinenser ins „Unvermeidliche“ schicken? Unwahrscheinlich. Eher werden wir eine Neuauflage des „asymmetrischen Kriegs“ erleben, mit Selbstmordattentaten auf der einen, mit Armeeeinsätzen auf der anderen Seite. Und mit Folgen auch für die Tätigkeit internationaler Terrorszenen, die aus dem ungelösten Konflikt die Legitimation für ihre Aktionen saugen.

Eine einseitige Festlegung der Grenzen nach dem Scharon/Olmert-Plan widerspricht aber auch der völkerrechtlichen Praxis, territoriale Streitfragen durch Friedensverträge unter Einschluss aller Beteiligten zu regeln. Hier geht es nicht um eine im engeren Sinn juristische Frage, sondern darum, wie Friedenssicherung heute überhaupt funktionieren kann. Friedensverträge führen, das lehrt die Erfahrung, niemals zu vollständig gerechten Lösungen. Kein Friedensvertrag könnte die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat bringen. Friedensverträge enthalten auch, wie das Dayton-Abkommen von 1995, das den Krieg im ehemaligen Jugoslawien beendete, ungeregelte Fragen, die zu neuen kriegerischen Auseinandersetzungen führen können. Aber ohne solche Abkommen unter Einschluss der Streitparteien ist der Weg zum dauerhaften Frieden nicht gangbar.

Der Unilateralismus ist eine politische Gewaltkur zur Lösung internationaler Probleme. Sie wird seit dem Machtantritt der Bush-Regierung durchgehend von den USA praktiziert. Unilateralismus negiert Multilateralismus, womit die Möglichkeit gemeint ist, durch internationale Abkommen und Pakte ein immer dichteres Netz von Normen zu knüpfen, das die Nationen zur friedlichen Kooperation verpflichtet. Unilateralismus bedeutet nicht einen defensiven Rückzug zur Selbstgenügsamkeit, zur „spendid isolation“, sondern international die Durchsetzung der eigenen Interessen – wenn nötig, mit Gewalt. Scharons und Olmerts Projekt einer einseitigen Grenzziehung ist ein Produkt dieser unilateralen Denkweise.

Gegen die mögliche Alternative zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts, Frieden kraft Verhandlungen, wird häufig eingewandt, sie jage einer Schimäre nach. Zeigt nicht das Scheitern des von den USA moderierten Verhandlungsprojekts zwischen Arafat und Barak (Camp David II), dass die gegenseitigen Positionen versteinert sind? Unüberwindbar, weil von gegenseitigen, ideologisch bedingten Maximalforderungen blockiert? Eine solche Auffassung verdient den Namen realistisch nicht, den sie sich selbst zulegt. Wer den damaligen Verhandlungsprozess verfolgt hat, weiß, wie nahe die Kontrahenten damals einer gemeinsamen Lösung waren. Wie es auch nicht an israelisch-palästinensischen gesellschaftlichen Initiativen fehlte. Nach dem Scheitern der damaligen Verhandlungen war tatsächlich der ganze Friedensprozess in der Sackgasse. Aber es war Ariel Scharon, der den Weg der Konfrontation beschritt, der die Spirale von Repression und Terrorismus auslöste. Jetzt will sein Nachfolger die angeblich einzig mögliche Lösung. Sie mag einfach sein, aber Frieden wird sie nicht bringen. CHRISTIAN SEMLER