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Archiv-Artikel

Regularien für den Urwald

Der Fußballweltverband Fifa geht mit einem entschlossenen Strafenkatalog gegen den Rassismus vor, der DFB wähnt sich vor der WM im eigenen Land als Vorreiter – und in deutschen Stadien werden trotzdem weiterhin afrikanische Spieler beschimpft

VON ANDREAS RÜTTENAUER

„Eigentlich muss man dem Spieler dankbar sein, dass er den Hitlergruß gezeigt hat.“ Martin Endemann, Sprecher des „Bündnisses aktiver Fußballfans“ (Baff), einer Faninititiave, deren Hauptanliegen unter anderem die Bekämpfung des Rassismus in deutschen Stadien ist, muss derzeit viele Fragen beantworten. Hintergrund ist ein Vorfall vom vergangenen Wochenende: Beim Oberligaspiel zwischen dem Halleschen FC und Sachsen Leipzig wurde der Ghanaer Adebowale Ogungbure von den Rängen als „Bimbo“ bezeichnet, Urwaldlaute schallten aus den Fanblocks. Als der Leipziger Profi den Platz verlassen wollte, wurde er getreten und geschlagen. Seine Reaktion: Er zeigte der Fankurve der Hallenser den Hitlergruß. Das brachte ihm ein inzwischen eingestelltes Ermittlungsverfahren wegen Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole ein und dem Fall ein riesiges Echo in der Öffentlichkeit.

Der Deutsche Fußballbund (DFB) hat am Mittwoch einen Bericht über die Vorfälle beim Nordostdeutschen Fußballverband angefordert und will gegebenenfalls reagieren. Endemann ist sicher, dass der DFB ohne das Medieninteresse am Fall Ogungbure gar nicht reagiert hätte. DFB-Sprecher Harald Stenger meint: „Wir wissen doch, dass die Fälle, die die öffentliche Diskussion bestimmen, insgesamt eine verschwindende Minderheit darstellen.“ Doch der DFB weiß gar nicht, wie groß das Problem ist: Rassistische Exzesse werden nicht zentral erfasst. Wahrscheinlich gebe es auch gar nicht viel zu erfassen, meint Endemann: „Was nicht in den Spielberichtsbogen der Schiedsrichter und Schiedsrichterbeobachter steht, hat nicht stattgefunden.“

Ein Urteil des Sportgerichts vom Januar diesen Jahres ist einzigartig in dieser Hinsicht. Zweitligist Energie Cottbus wurde zur Zahlung von 20.000 Euro verurteilt, unter anderem weil es zugelassen worden war, dass Cottbusser Fans beim Spiel gegen Dynamo Dresden im Stadion ein Transparent hochhielten, auf dem in großen Lettern das Wort Jude zu lesen war. Gegnerische Fans als Juden zu bezeichnen, ist, so Endemann, nicht unüblich in vielen Stadien. Geldbußen würden nicht viel bewirken, meint er. Ihm gefällt, was der Fußballweltverband Fifa kürzlich beschlossen hat. Wenn den Vereinen bei Fehlverhalten ihrer Fans sogar Punktabzug drohe, dann müssten sie sich endlich mit dem Thema Rassismus auseinander setzen. Dass es nach DFB-Satzung bereits möglich ist, Vereine derart zu bestrafen, wusste auch Endemann nicht. DFB-Sprecher Stenger brauchte gar zwei Tage, um den richtigen Paragrafen ausfindig zu machen. In der Rechts- und Verfahrensordnung heißt es: „Eines unsportlichen Verhaltens (…) macht sich insbesondere schuldig, wer sich fremdenfeindlich, rassistisch, politisch, extremistisch, obszön anstößig oder provokativ beleidigend verhält.“ Und das kann mit der Aberkennung von Punkten und Zwangsabstieg bestraft werden. „Sie sehen, der DFB ist auch hier wieder einmal Vorreiter“, so Stenger. Richtig harte Strafen wurden bislang nur über Vereine aus den untersten Ligen verhängt, vor allem wenn ethnische Konflikte in handfeste Auseinandersetzungen mündeten.

Doch die Bundesliga ist durchaus nicht sauber. Urwaldlaute und rassistische Beschimpfungen gehören zum Alltag auf den Stehrängen. „Zick, zack – Zigeunerpack!“: HSV-Fans verschafften sich kürzlich mit Schmähgesängen gegen Uefa-Cup-Gegner Rapid Bukarest via Fernsehen bundesweit Gehör. Den Fernsehkommentatoren waren diese Ausfälle zunächst ebenso wenig einen Kommentar wert wie den Verantwortlichen des HSV. „Da fehlt einfach das Bewusstsein“, meint Martin Endemann.

Im Bundesinnenministerium glaubt man nicht, die Weltmeisterschaft könnte unter rassistischen Exzessen leiden. Bei der WM-Sicherheitskonferenz, die derzeit in Berlin stattfindet, werde das Thema eher am Rande verhandelt, so Ministeriumssprecher Christian Sachs. Rassismus werde bei der WM keine große Rolle spielen. Der Hitlergruß eventuell schon. Mit Hilfe der britischen Sicherheitsorgane soll den englischen Fans klar gemacht werden, dass das Zeigen des Hitlergrußes auf der Tribüne hierzulande „nicht unter britischer Humor eingeordnet“ (Sachs), sondern strafrechtlich verfolgt wird.