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Archiv-Artikel

Wundersame Weltgewebe

Zu Gast bei Janssen: Der Bleistift-Virtuose Jorge Queiroz. Sein Mentor: Der Schatten eines Blinden

Von Henning Bleyl

Wer kennt das nicht: Ein Telefonat zieht sich in die Länge, man spielt mit dem Stift, und schon beginnt wieder eines dieser Endlosgemälde zu wachsen, die irgendwann die ganze Schreibtischunterlage überwuchern. Jorge Queiroz kennt das auch. Aber im Gegensatz zu unkonzentrierten Nebenbei-Künstlern beschränkt sich der Portugiese streng auf das DinA 4-Format. Jetzt sind seine Werke unter dem Titel „What paper can support“ im Oldenburger Horst-Janssen-Museum zu sehen.

Queiroz‘ Papiere ertragen sehr viel. Ganze Kosmen voller Figuren, Situationen, durcheinander gewirbelter Räume. Ein Stapel Stühle verdichtet sich zur Silhouette einer Nonne, daneben scheinen zwei Museumsbesucher zu parlieren, links rutscht ein Spiegelei aus dem Bild – um nur einige Details und Akteure zu nennen. Manches könnte Comic-Avantgarde sein oder Dalí-Retro, mit anderen Worten: Es ist eine der Ausstellungen, in denen man entweder kurz bleibt, oder ganz lang. Je nach Forscherdrang. Und abhängig von der Bereitschaft, sich in immer wundersamere Weltgewebe zu vertiefen.

Zeitlich eingebettet zwischen Janssens Blumen-Stillleben – denen dieser einen Großteil seiner Popularität verdankt – und Janssens Skandinavien-Skizzen räumt das Museum seinen Sonderausstellungsbereich für Queiroz frei – der ebenfalls ein wahrer Bleistift-Virtuose ist. Ein noch chaotischerer als Janssen, einer, der kein Ende zu finden scheint und vermutlich gerade deswegen so streng an seinem fixen Format festhält. Wie aber bespielt man mit DinA-4 400 Quadratmeter Fläche? Durch klug choreografierte Gruppierung.

Queiroz clustert seine Kleinformate so wirkungsvoll, dass an der ochsenblutrot gestrichenen Wand Gebilde ganz eigener Art entstehen. Etwa ein Monster mit ausgerecktem Tentakel, ein Makro zu all den Mikrouniversen. Der Biennale-geadelte Portugiese liebt die mäandernden Perspektivwechsel, konsequenterweise sind 54 weitere Arbeiten in einer Endlos-Schleife angeordnet, nämlich horizontal auf einen runden Laufsteg genagelt. Daraus ergibt sich ein 19 Meter umfassendes Bilderkarussell, dessen Richtung und Geschwindigkeit von den Beinen der BesucherInnen abhängen.

Die bisherige Abstimmung mit den Füßen spricht allerdings gegen Queiroz. „Uns war klar, dass er keine Massen ins Haus schwemmt“, sagt Kuratorin Jutta Moster-Hoos. Eine euphemistische Beschreibung der Publikumsebbe seit der Vernissage, bei der das Haus noch auf die allzeit treue Janssen-Gemeinde zählen konnte. Die Presse argwöhnt, hier wolle einer „in der Provinz“ die Wirkung seiner Zumutungen erproben. Was Queiroz, der derzeit in Berlin lebt, schon immer gern verübelt wurde, ist die ausnahmslose Bezeichnung seiner Werke als „Ohne Titel, Mixed Media“ – womit er die Anwendung von Graphiten, Kreiden, Tuschen, Lacken und Ölfarbe meint. Diese „Verweigerung“ verwehre den Betrachtern selbst „den Ansatz einer Hilfestellung“ beim Ergründen seiner „surrealistisch anmutenden Einfälle“.

Der lokale Protest hat tatsächlich ein Zugeständnis ertrotzt: Gerade hat Jutta Moster-Hoos drei der spärlichen Queiroz-Zitate wieder aufgehängt, deren Präsentation sich der Künstler eigentlich verbeten hatte. Jetzt also erfährt der – hoffentlich geneigtere – Besucher: „Ich bringe mir selber bei zu zeichnen und hoffe, es nie zu lernen (...)“ Wer Queiroz hier hämisch beipflichtet, kann sich mit einer weiteren Sentenz auseinander setzen: „Der Schatten eines die Treppe herab steigenden Blinden ist mein Mentor.“ Diese evoziert nun tatsächlich ein Bild, das dem intuitiv-tastenden Mäandern nahe kommt, das Queiroz‘ Arbeiten so reich und anarchisch macht.