NICOLA LIEBERT ÜBER DIE NEUESTEN GUTACHTEN ZUR WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG : Ist nicht alles wunderbar?
Die große Krise auf dem deutschen Arbeitsmarkt bleibt aus. Das ist die gute Nachricht, die Wirtschaftsforschungsinstitute und Internationaler Währungsfonds (IWF) überbrachten.
Damit steht Deutschland in einem auffälligen Gegensatz zu vielen anderen Industrieländern, wo die Arbeitslosigkeit krisenbedingt in die Höhe schoss und dem IWF zufolge auch hoch bleiben wird. Das deutsche Beispiel zeigt: Eine aktive Konjunktur- und Arbeitsmarktpolitik mit Maßnahmen wie Kurzarbeit ist durchaus geeignet, das Schlimmste zu verhindern. Doch das genügt nicht, um die arbeitsmarktpolitischen Erfolge hierzulande zu erklären. Hinzu kommt die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, mehr Teilzeitarbeit und generell eine starke Reduzierung der individuellen Arbeitszeit, wie die Wirtschaftsforschungsinstitute anmerken.
Ist das nicht wunderbar? Endlich scheint sich die alte Gewerkschaftsforderung nach Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen, um die vorhandene Arbeit unter mehr Arbeitnehmern aufzuteilen. Doch die Gewerkschaftskampagne hatte ein zweites Element: den vollen Lohnausgleich. Der sollte dafür sorgen, dass die Nachfrage nicht einbricht. Heute aber arbeiten die Deutschen nicht nur weniger, sondern häufig auch noch für weniger Geld, beispielsweise in Minijobs oder als Leiharbeiter: Gut für die Arbeitslosenstatistik, schlecht jedoch für die inländische Nachfrage. Für 2010 erwarten die Forschungsinstitute sogar einen Rückgang des privaten Konsums. Sie – und mit ihnen die Politiker – hoffen stattdessen auf die Exporte, die die Wirtschaft aus der Krise ziehen sollen. Eine riskante Strategie. Wer eine nachhaltigere Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung will, wird um eine expansive Lohnpolitik nicht herumkommen.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 8