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Archiv-Artikel

Urlaub gegen die Mafia

SIZILIEN Reisen, ohne einen Cent an die Cosa Nostra zu zahlen: Addiopizzo, „Schutzgeld, ade!“

Schutzgeld, ade!

Die Tour: dauert 7 Tage und startet von Palermo aus mit Halt in Mondello, Cinisi, Capaci, Monreale, Cefalù, Caccamo und Corleone. Weitere Touren durch Nordwestsizilien sind geplant. Auf Anfrage auch individuelle Reiserouten. Buchungen unter +39 380 369 10 47, www.addiopizzotravel.it

Die Initiative: „Addiopizzo“ ist ein in Palermo ansässiger Verein im Kampf gegen Schutzgeldzahlungen, dem jedermann beitreten kann. www.addiopizzo.org

Die Restaurants: Die „Antica Focacceria S. Francesco“ bietet bodenständige Palermitaner Küche: Pasta und Pizza mit Sardellen, Kalbsmilzbrötchen, „Arancine“- Reisbällchen mit Hack. Menü ab 6 €, www.afsf.it. Sizilianische Spezialitäten modern interpretiert speist man im Restaurant „Il Mirto e la Rosa“. Menü ab 13 € www.ilmirtoelarosa.com

Die Unterkünfte: Das 3-Sterne-Hotel Addaura in Mondello bietet Doppelzimmer ab 54 €, teils mit Meerblick: www.addaura.it. Terre di Corleone, ein enteigneter Hof, der dem Corleoneser Mafiaboss Totò Riina gehörte, öffnet Ende März seine Türen für Touristen. 5 Zimmer, biologische Küche. terredicorleone@liberaterramediterraneo.it

Die Adressen: Addiopizzo hat einen Stadtplan auf Deutsch herausgegeben, erhältlich vor Ort oder im Internet: www.addiopizzo.org/deutsch.asp. Die Liste aller derzeit 419 schutzgeldfreien Betriebe findet sich unter www.addiopizzo.org/pizzofree_alfa.asp

Die Anreise: Tuifly und Airberlin bieten Direktflüge nach Catania. Man kann auch ganz klassisch mit Zug oder Bus dorthin fahren.

VON KIRSTIN BUROW (TEXT) UND GIULIANA LIPPARINI (FOTOS)

Ohne die Carabinieri wäre die Stimmung anders. Dann gäbe die Piazza San Francesco in Palermos Altstadt das perfekte Motiv für einen Reisekatalog ab. Links das zierliche Gotikportal der Franziskuskirche, rechts die verschnörkelte Inschrift der ältesten Gaststätte der Stadt, der „Antica Focacceria S. Francesco“.

Doch nun parkt der Carabinieriwagen mitten auf dem Platz und stört die Idylle. Zwei Männer in Uniform steigen aus und verschwinden hinter den schweren Holztüren des Restaurants. Das ist ein Bild der sizilianischen Hauptstadt, das in der Tourismuswerbung nicht auftaucht. Die Männer seien zum Personenschutz dort, erklärt unser Reiseführer Edoardo Zaffuto. „Vor vier Jahren haben die Inhaber der Focacceria ihre Schutzgelderpresser angezeigt, danach bekamen sie Morddrohungen.“

Edoardo ist kein Freund des schönen Scheins. Nach der Kathedrale führt uns der 34-Jährige zu Restaurants und Läden seiner Heimatstadt, die mit der Cosa Nostra zu tun hatten. Die kein Schutzgeld mehr zahlen. In Edoardos Touren geht es um das Tabuthema Mafia und um Mafiagegner. Addiopizzo, „Schutzgeld, ade“, heißt seine junge Reiseagentur, gegründet aus der gleichnamigen Antimafia-Initiative, die Geschäftsleute ermutigt, ihre Schutzgelderpresser vor Gericht zu bringen. 80 Prozent aller in Palermo ansässigen Betriebe zahlen Schutzgeld. „Wer hier also eine beliebige Pizzeria besucht, kann davon ausgehen, dass er die Mafia mit finanziert“, sagt Edoardo. Mittagspause macht er daher nur dort, wo dem Pizzo auf Wiedersehen gesagt wurde.

Im Inneren der alten Focacceria herrscht eine behagliche Atmosphäre, nichts scheint in 176 Jahren verändert worden zu sein. Umso mehr sticht der „Addiopizzo“-Aufkleber am Kassenhäuschen in grellem Orange ins Auge, das Erkennungszeichen für einen schutzgeldfreien Betrieb. Süßlicher Duft nach Sardellenpasta mit Rosinen strömt uns entgegen. Über den Holzbänken hängen die Fotos illustrer Besucher. Paul Newman war hier, Sofia Loren, Hillary Clinton. Von der Empore aus winkt uns Fabio Conticello, 44, zu sich herauf. Mit seinem Bruder Vincenzo führt er die Focacceria in fünfter Generation. Fabio Conticello ist hoch gewachsen, sein Haare sind dunkelblond, seine Augen grün, nicht gerade der italienische Prototyp. Er komme soeben vom Berufungsgericht. Zwischen 10 und 14 Jahren Freiheitsstrafe hätten die drei Schutzgelderpresser bekommen, in der ersten Instanz waren es noch zwischen einem halben Jahr und drei Jahren mehr pro Kopf. Es sei keine leichte Zeit, gesteht Conticello. „Nach unserer Anzeige blieben einige Stammgäste weg.“ Vermutlich aus Angst, die Mafia könne weitere Besuche als Affront verstehen, fügt er hinzu. Andere Gäste fühlten sich von den Wachmännern gestört, die mehrmals in der Stunde nach dem Rechten sehen. „Wenigstens stehen ihre Wagen nicht mehr Tag und Nacht vor der Tür wie zuvor.“ Am Nachbartisch probieren Besucher aus Mailand gerade Cannoli, mit Ricotta gefüllte Gebäckröllchen.

Köstlich, schwärmt die 34-jährige Monica Pierini. Cannoli gebe es in Norditalien nicht. Die sizilianische Mafia schon. „Wir Konsumenten müssen die Inhaber unterstützen, indem wir trotzdem kommen. Oder vielmehr jetzt erst recht“, betont die Bankangestellte. „In unserem Land haben doch nur wenige den Mut, sich gegen die Mafia aufzulehnen.“

Zu siebt waren Edoardo und seine Kollegen, als sie im Sommer 2004 die Innenstadt von Palermo mit Plakaten bepflasterten: „Ein ganzes Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde.“ Sechs Jahre später besteht das Aktivistenteam von Addiopizzo aus 44 Mitgliedern, die Zahl der schutzgeldfreien Händler und Unternehmer hat sich auf 419 erhöht, Tendenz steigend.

Letztes Jahr kam schließlich die Idee, die pizzofreien Adressen touristisch zu vermarkten. Zwei Gruppen aus Norditalien haben die Reise schon getestet, die „Addiopizzo Travel“ ab Ende März für Urlauber aus aller Welt anbietet. Schutzgeldfreie Betriebe in Palermo, Monreale und Mondello stehen auf dem Programm, ebenso ehemalige Mafiagüter rund um Corleone. Und es geht zu Orten, an denen Menschen ihren Mut mit ihrem Leben bezahlten. Paolo Borsellino war einer von ihnen, er lehnte sich auf in einer Zeit, als in Sizilien das Schweigen, die „Omertà“, noch als oberstes Gebot galt. Gemeinsam mit seinem Richterkollegen Giovanni Falcone brachte Borsellino im sogenannten Maxi-Prozess der Achtzigerjahre über 300 Mafiosi hinter Gitter. Dann, am 19. Juli 1992, acht Wochen nach dem tödlichen Attentat auf Falcone, ein Riesenknall vor dem Haus von Paolo Borsellinos Mutter in der Via d’Amelio. Eine Autobombe, Borsellino und vier Personenschützer sterben.

„Meine Kinder sind Teil einer neuen, optimistischen Generation auf Sizilien“

RITA BORSELLINO

Wir fahren in die Via d’Amelio an Palermos westlichem Stadtrand. „Paolo Borsellino lebt“ steht auf einer Mauer gegenüber der Einfahrt in die Sackgasse, rechts und links nüchterne Wohnblocks der Achtzigerjahre. Ein beklemmend wirkender Ort. „Ich finde, als Urlauber sollte man auch diese Orte besuchen“, erklärt Edoardo, „nur so bekommt man einen Blick für die schönen Seiten Siziliens“. Er meint damit die Menschen, die sich gegen die Mafia auflehnen.

Die neue Generation

Rita Borsellino, Paolos Schwester, wohnt bis heute in der Via d’Amelio. Wenn sie nicht gerade unterwegs ist. Vor neun Monaten wurde die 65-Jährige ins Europäische Parlament gewählt, seitdem pendelt sie wöchentlich 1.600 Kilometer zwischen Palermo und Brüssel. „Paolos Tod hat mein Leben radikal umgekrempelt“, so die Abgeordnete. Früher führte sie das „unspektakuläre Leben einer Mutter und Apothekerin“, dann, nach dem Anschlag, hatte sie den Drang, etwas zu tun. Sie wurde Politikerin im Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Aus dem Krater, den der Sprengstoff in den Teer gerissen hat, wächst nun ein Olivenbaum. Ihre Mutter hatte sich diesen Baum zum Andenken an Paolo gewünscht, als Zeichen für Leben und Hoffnung. Überall an den Ästen hängen persönliche Devotionalien – Mützen, Ketten, Briefe – „Paolo ist unter uns“, „Nieder mit der Mafia“.

Eine Gruppe Jugendlicher habe letzte Weihnachten den Baum geschmückt, sagt Rita Borsellino, und ihre Augen strahlen dabei. „In den ersten Wochen nach dem Tod meines Bruders wollte ich wegziehen.“ Ihre drei Söhne, damals zwischen 19 und 21 Jahre alt, überzeugten sie jedoch zu bleiben. Wenn du etwas ändern willst, musst du bleiben, sagten sie, sonst besitzt die Mafia Macht über dich. „Meine Kinder sind Teil einer neuen, optimistischen Generation Siziliens.“

Auch Edoardo gehört dieser Generation an. Ob sich die Mafia nicht irgendwann bei Addiopizzo rächen wird, fragen wir ihn. „Sie haben es schon versucht, ohne Erfolg“, entgegnet Edoardo lächelnd. Und er erzählt von Rodolfo Guajana, einem Eisenwarenhändler der Addiopizzo-Liste, der seine Lagerhalle 2007 in Schutt und Asche vorfand, nachdem er sich geweigert hatte, Schutzgeld zu zahlen. Addiopizzo organisierte dem Unternehmer daraufhin eine neue, noch größere Fabrik, finanziert durch Spenden aus der Bevölkerung. „Die Mafia scheint verstanden zu haben, dass jede Aktion gegen uns wie ein Bumerang wirkt.“

In der Nähe der Via d’Amelio beginnt die Autobahn Richtung Cinisi, der letzten Station unserer Tour. Cinisi, eine Kleinstadt mit 11.000 Einwohnern, kennt in Italien jeder. Nicht wegen des Flughafens auf dem Gemeindegebiet, sondern wegen Peppino. So nennen die Italiener Giuseppe Impastato liebevoll. 1978 wurde der 30-Jährige im Auftrag der Mafia auf die Bahngleise Richtung Trapani gefesselt und in die Luft gesprengt. In seinem selbst finanzierten Radiosender Radio Aut hatte Peppino die Familie Badalamenti, den Mafiaclan seines Heimatorts, aufs Korn genommen. Impastato entstammte selbst einer Mafiafamilie, und sein Mörder, Gaetano Badalamenti, war ein Freund seines Vaters. Nie zuvor hatte ein Sizilianer gewagt, derart gegen die mafiösen Strukturen der eigenen Familie zu rebellieren. „Peppino gilt hier als der Che Guevara von Sizilien“, meint Edoardo.

Addiopizzo, „Schutzgeld, ade!“ heißt die junge Reiseagentur, die Geschäftsleute ermutigt, ihre Schutzgelderpresser vor Gericht zu bringen. 80 Prozent der Geschäfte zahlen Schutzgelder

Schnurgerade führt der Corso Umberto, die Hauptstraße von Cinisi, von der weiß getünchten Barockkirche Santa Fara in Richtung Meer. Gestutzte Mandarinenbäume voller reifer Früchte rahmen die zweistöckigen Altstadthäuser. Wie ein Mafianest sieht Cinisi nicht aus. „Die Mandarinen sind ungenießbar“, bemerkt Edoardo, „sonst würde hier keine einzige mehr hängen.“ Wir halten am Haus Nummer 220, dem Elternhaus von Peppino. Sein Bruder, Giovanni Impastato, erwartet uns. Giovanni hat aus dem Haus eine Gedenkstätte gemacht. Und er hat 24 Jahre lang dafür gekämpft, dass Peppinos Mord, der wie ein Selbstmord aussehen sollte, schließlich aufgeklärt wird. 2002 das Urteil: „lebenslänglich“ für Gaetano Badalamenti. Giovanni Impastato erzählt dies mit leiser Stimme, fast schüchtern. „Als mein Bruder noch lebte, habe ich nicht alle seine reaktionären Ansichten geteilt“, sagt er. „Erst sein Tod machte mir klar, dass du die Mafia nur bekämpfen kannst, indem du dich gegen sie auflehnst. Auch wenn du viel Geduld brauchst.“

Kleine Siege

Giovanni hat sich aufgelehnt, im Namen seines Bruders, und er tut es noch immer. Erst vor sechs Wochen entschied das Gericht in Palermo, dass das Wohnhaus der Badalamenti enteignet und Giovanni Impastato zur Nutzung als Kulturzentrum übergeben wird. In einem Monat soll er die Schlüssel bekommen. „Ich werde im Haus von Peppinos Mörder Kinoabende veranstalten, Ausstellungen, Lesungen.“ Zum ersten Mal wird seine Stimme etwas lauter. „Für mich ist das wie ein weiterer Sieg über die Mafia.“

Wir fahren raus aus Cinisi, am Meer entlang in Richtung Flughafen. Noch bevor wir die Abflughalle erreichen, geht uns durch den Kopf: Kirchenfassaden und Mandarinenbäume haben wir schon auf anderen Reisen gesehen. So viele mutige Menschen noch nie.