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Archiv-Artikel

Meerwüste

Die Insel nenne ich nicht Oase, denn das Meer ist eine Wüste.

Wer zeichnet mir die Insel als Boot? Wer entlässt mein Lied in den Wind?

Ich fliege, und die Augen folgen mir. Die Nacht ist Wein, am Morgen haften dir meine Lippen noch am Mund. Ein Zelt aus Asche, die Ränder aus Salz. Im Ohr Mutters Jubeltriller. Eine Frau mitten im Leben, die Hände mahlen Kiesel,gebannt vom Räuspern der Nacht und dem Heulen der Grenzen, hängt an den Wimpern einer Wolke, die fremde Feste regnen lässt.

Glocken fangen Bruchstücke einer fernen Melodie ein. Mit halbem Lächeln male ich triste Abende bunt. Die Nacht ist Decke und Wein, ich bin eine Braut, fürs Reisen bestimmt. Wer zeichnet mir die Insel als Sänfte? Und die Welt als Wüste? Wer trägt mich hinaus in die Ödnis ein Lied für Wasser und Pflanze?

Übersetzung aus dem Arabischen von Leila Chammaa ■ Die Dichterin, Schriftstellerin und Journalistin Najet Adouani, geboren 1956 im Süden Tunesiens, setzt sich für Freiheit, Frieden und Frauenrechte ein. Sie schrieb bereits als Kind, später publizierte sie in oppositionellen Zeitungen. Deshalb wurde sie auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt und konnte nichts mehr veröffentlichen. 2012 floh sie nach Deutschland. Seit 2013 ist sie im Writers-in-Exile-Programm des PEN. Sie publizierte sechs Lyrikbände und eine Sammlung von Kurzgeschichten