: Der Reformer und sein Freund aus Russland
RADSPORT Vor der Wahl des UCI-Präsidenten präsentiert Herausforderer Cookson brisante Papiere, die den Amtsinhaber belasten
FLORENZ taz | Wechselwinde fegen durch den Palazzo Vecchio in Florenz. Im alten Herrschaftssitz des Geschlechts der Medici – drei Päpste, zwei Königinnen und allerlei dynastische Morde – stellen sich am Freitag der amtierende Präsident des Weltradsportverbands UCI, Pat McQuaid, und sein Herausforderer Brian Cookson zur Wahl. Schon das ist ungewöhnlich. In diesem Job stirbt man entweder – so McQuaids Vorvorgänger Luis Puig, nach einem Trauerjahr nahm Hein Verbruggen den verwaisten Platz ein. Oder man gibt ihn aus Altersgründen ab – der Italiener Adriano Rodoni inthronisierte 83-jährig den Spanier Puig. Oder aber man macht sich wegen anderer Karriereoptionen davon wie McQuaids sportpolitischer Ziehvater Verbruggen 2005.
Immer jedoch sorgt, wer im Amte überlebt, für einen Nachfolger in seinem Sinne. Der Ire McQuaid mag dies auch vorgehabt haben. 13 Jahre betrug die durchschnittliche Amtszeit von UCI-Präsidenten seit 1900, Rekordhalter ist Rodoni mit 23 Jahren. McQuaids bisherige acht Jahre muten da wie ein Schnuppermandat an. Dass es überhaupt zu einer Kampfkandidatur kam, ist herber Unzufriedenheit mit ihm zuzuschreiben.
Einen Teil seiner Verfehlungen listet ein nicht mehr ganz geheimes Geheimdossier auf , das der amerikanische Sportfunktionär Mike Plant bei einem Treffen der UCI-Oberen auf den Tisch packte. Von in Arabien geparkten Bestechungsgeldern für McQuaid und Verbruggen ist darin die Rede. Von Versuchen McQuaids, den positiven Dopingtest Alberto Contadors im Jahre 2010 zu vertuschen. Von wechselseitigen Geschäften mit Lance Armstrong.
Das Dossier ist auf Betreiben des russischen Erdöl- und Erdgasmagnaten sowie Finanzier des Katusha-Rennstalls Igor Makarow zustande gekommen. Makarow, ein Exradsportler durchaus mit Meriten, stieg 1994 dank eines Zuckergeschäfts in die Ausbeutung turkmenischer Erdgasfelder ein. Das war der Grundstein für Itera, ein Unternehmen, das einst auf Augenhöhe mit Michail Chodorkowskis Jukos-Konzern und Roman Abramowitschs Sibneft-Gruppe stand. Während Chodorkowski in Sibirien einsitzt, Abramowitsch nach London emigrierte – und beider Unternehmen zu großen Teilen an den halbstaatlichen Konzern Gasprom gingen – bewahrte Makarows Itera eine gewisse Eigenständigkeit. Makarow selbst gehört zum engeren Vertrautenkreis von Wladimir Putin. Er hat, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, aber laut Handelsregisterauskünften auch die britische Staatsbürgerschaft.
Über Makarows hemdsärmlige Geschäftsmethoden verbreitete sich in vergangenen Jahren die internationale Wirtschaftspresse. Dem Branchendienst Bloomberg zufolge soll er sich mit Vertrauten des damaligen Cosa-Nostra-Paten Bernardo Provenzano wegen eines Öldeals getroffen haben. Ein Schweizer Expartner warf ihm Vertragsfälschungen vor, kurz darauf wurde dessen Ehefrau, eine Anteilseignerin von Itera, zum Unterpreisverkauf ihrer Anteile gedrängt. Ein US-Gericht gab ihr zumindest teilweise Recht.
Makarow steht nun hinter McQuaids Herausforderer Cookson, was wiederum dem Iren vortreffliche Munition bietet. So weist McQuaid auf die Gefahr einer Übernahme des Radsportgeschäfts durch Makarow hin, sollte Cookson gewinnen. Auch Katushas Antidopingpolitik ist dubios. Der junge Sprinter Denis Galimsjanow wurde im letzten Jahr mit Epo erwischt und verschwand nach einer Selbstbezichtigung, die im Ton an die Schauprozesse der Stalinzeit erinnerte, in der Versenkung. Eine ganze Garde von Katusha-Profis soll sich laut Informationen der italienischen Polizei vom Dopingdoc Michele Ferrari versorgt haben lassen. Vor zwei Jahren wurde die Guardia di Finanza deshalb im italienischen Hauptquartier von Katusha vorstellig.
Das Versprechen auf Glaubwürdigkeit und Vertrauensgewinnung, das Cookson zum Kern seines Wahlkampfauftritts gemacht hat, wird sich auch daran messen lassen müssen, wie Cookson mit diesem Katusha-Erbe umgeht. Als ersten Schritt im Falle seines Siegs hat er die Etablierung einer Wahrheitskommission zur Dopingaufarbeitung angekündigt.
Für ihn spricht substanziell die Erfolgsbilanz von British Cycling, dessen Präsident er seit 1997 ist. Als Hauptberuf übt er den eines Landschaftsarchitekten und Gestalter urbaner Räume aus. Die Kenntnisse bei der Rekultivierung vernachlässigter Flächen könnten bei der Aufbereitung des kontaminierten Radsportgeländes durchaus vorteilhaft sein. Nur sollte er klarmachen können, in wessen Auftrag er die Harke schwingt. Das ist für die Funktionärsversammlung im alten Medici-Palast möglicherweise nicht so wichtig, für die Öffentlichkeit aber schon. TOM MUSTROPH