: Wenn nichts mehr zu kapieren ist
Augen zu und durch: Irgendwann wird Schluss mit dem ganzen Wahnsinn sein. Wolf Eyes (Detroit) und Black Dice (Brooklyn) brachten in die Volksbühne den schwer fassbaren Lärm, der als Ventil für die Unzumutbarkeiten im Bush-Amerika gilt
VON ANDREAS HARTMANN
Es herrschte Krieg in der Volksbühne. Die Musik tat weh, Instrumente wurden wie Waffen eingesetzt, es klang wie auf dem Schlachtfeld. Nach der ganzen österlichen Besinnlichkeit, den entsetzlichen Familienfestlichkeiten und dem Verzehr von viel zu vielen Nougat-Ostereiern war man gekommen, um sich im Theater gehörig den Magen umdrehen zu lassen. Und man wurde nicht enttäuscht.
Mit Wolf Eyes und Black Dice kam die Speerspitze einer seltsamen neuen Noise-Bewegung aus den USA nach Berlin, die es kurioserweise geschafft hat, brutalen Krach als neues Ding zu verkaufen. Wolf Eyes aus Detroit veröffentlichen inzwischen Platten auf dem Label, das bereits Nirvana groß gemacht hatte, und Black Dice aus Brooklyn gehören zu DFA, einem der hipsten Labels derzeit überhaupt. Die dritte Band, Battles aus New York, die zwischen die beiden Krachmachercombos geschoben wurde, wollte zwar nicht so recht ins Bild passen mit ihrem superpräzise gespielten Musikstudenten-Postrock, der ein paar Jahre zu spät kommt, doch auch sie war immerhin ziemlich schockierend, wenngleich auch nur schockierend langweilig.
Interessant ist, dass inzwischen auch hierzulande schier unhörbare Musik ein Szenepublikum zieht, auch wenn dies zu Teilen wohl dem Volksbühneneffekt zu verdanken ist. Beim gleichen Line-up im Festsaal Kreuzberg wären wohl wieder nur die üblichen 35 Lederjackenträger aufgetaucht, die „Texas Chainsaw Massacre“ für ihren Lieblingsfilm halten. Die Volksbühne jedoch war gut besucht, und wirklich nicht jeder sah so aus, als würde er sich in seiner Freizeit am liebsten autodestruktiven Verhaltensweisen hingeben und bei schlimmen Splatterfilmen zynisch lachen. Doch das ist ja das Schöne an derartigen Volksbühne-Konzerten: zu sehen, wie die drei White-Trash-Typen von Wolf Eyes kaputtem Krach auf selbst gebastelten Instrumenten generieren und alle ganz andächtig in ihren Theatersesseln verharren, wie Hässlichkeit plötzlich als Kulturgenuss wahrgenommen wird. Die drei sahen ja schon schlimm aus, mit ungepflegten Haaren, ein T-Shirt zierte der böse Blackmetaller Venom, und ein anderer Musiker wirkte mit seinem Bierbauch unter dem Unterhemd, Oberarm-Tattoo und völlig unpassenden braunen Slippern ziemlich unterirdisch.
Inzwischen wird das, wofür gerade Wolf Eyes stehen, gerne als politisierter Ausdruck eines degenerierten Amerika gelesen. Der Krach dieser Band ist das Ventil, das die ganzen Unzumutbarkeiten in Bush-Amerika ausdrückt. Wo soziale Strukturen auseinander fallen, eine Stadt wie Detroit zunehmend gar nicht mehr funktioniert, muss eine Musik einfach so klingen wie der nur schwer fassbare, von Metal und Jazz infizierte Lärm, den Wolf Eyes von sich gaben. Entfremdung, Terror, Angst wurden heraufbeschworen, am Ende wähnte man sich beinahe tatsächlich wie in einem Theaterstück mit dem Titel „Apokalypse USA“.
Dagegen wirkten Black Dice am Ende dieser verspätet aufgeführten Passionsspiele geradezu frisch, frei, fröhlich. Wolf Eyes machten einen komplett kaputt, der raffiniert geschichtete hypnotische Dauerlärm von Black Dice baute einen fast schon wieder auf. Irgendwann wurde dieser geradezu rhythmische Klang wie ein geisterhaftes Mantra, und immer mehr begannen ein wenig zu tanzen. Im Hintergrund flackerten Visuals, die einer Drogenfantasie zu entstammen schienen und den rituellen Charakter der musikalischen Performance untermauerten. Die Musik der drei ziemlich jungenhaft wirkenden Jungs schien einem dann sagen zu wollen, dass es doch noch Hoffnung gibt, auch wenn man nichts mehr kapiert, auch wenn das Leben in den USA derzeit nur noch ein Strudel ist. Augen zu – wenn es gar zu brutal und kakofonisch wird, auch: Ohren zu – und durch, irgendwann wird auch einmal wieder Ruhe und Schluss mit dem ganzen Wahnsinn sein. So wie auch an diesem Abend.