: Krieg im Sumpf
AUS WARRI HAKEEM JIMO
Beim Anblick des Containerschiffes entlädt sich die ganze Wut der Dorfbewohner. Bugwellen schwappen über ihre kleinen Einbäume und bringen sie zum Kentern. Dutzende Menschen eilen zur Hilfe, damit der spärliche Fischfang nicht verloren geht. Eine Frau im knietiefen Wasser schreit zum Stahlkoloss herüber: „Ihr werdet noch bezahlen!“
Wie in dem Dorf Eferesuogbene fühlen sich viele Menschen im Nigerdelta. Sie sehen vom Ufer hell erleuchtete Tankfarmen, schwer beladene Containerschiffe und gut ausgebaute Pumpstationen. Selbst aber wohnen sie in zusammengeflickten Hütten aus Palmwedeln, Blech, Plastikplanen, Holzplanken und Pappe. Das einzige Haus aus Beton im Dorf ist die Grundschule – ein einsames Zeichen, dass einmal öffentliches Geld hierher geflossen ist. Das Dach der Schule ist seit Jahren teilweise eingestürzt.
Wer über die sechste Klasse hinaus zur Schule gehen will, muss mit dem Kanu aus Eferesuogbene rund zehn Kilometer flussaufwärts paddeln. Wer kann, zieht in die Städte. Aber da das Leben dort teuer ist und sich kaum Arbeit findet, kommen viele zurück. „Wir können uns kaum selbst versorgen“, sagt Israel Tiemo, ein Gemeindeaktivist. „Obwohl wir von Wasser umgeben sind, müssen wir einen Tag im Kanu fahren, um einen Trinkwasserbrunnen zu erreichen.“
Zerstörte Umwelt
Flora und Fauna sind durch die Erdölarbeiten verkümmert, bestätigen Wissenschaftler am Petroleum Training Institute in Warri. So fiel der PH-Wert von durchschnittlich 5 bis 6 auf teilweise 4,7 und ist somit zu sauer für die Pflanzen. Die Dorfbewohner von Eferesuogbene bekämen kaum noch Wildtier zu Gesicht. Krokodile seien seit Jahrzehnten verschwunden. Selbst der Fischfang reiche kaum noch aus.
„Shell & Co haben es geschafft, von der Mehrheit der Bevölkerung als Ursache für ihre Unterentwicklung angesehen zu werden“, sagt Israel Tiemo. Daher sympathisiere die Bevölkerung mit den Aufständischen, die seit Jahren im Nigerdelta aktiv sind und Nigerias Ölförderung immer stärker beeinträchtigen.
Wer im Delta von Aufständischen spricht, meint damit vor allem eine Gruppe: Mend, die „Bewegung für die Emanzipation des Nigerdeltas“. Seit ihrem Bekanntwerden vor rund einem Jahr ist Mend für den Tod Dutzender Soldaten und Polizisten verantwortlich. Für die heimische Wirtschaft waren die vergangenen beiden Monate verheerend. Mend hatte einen „schwarzen Februar“ ausgerufen, Erdölinstallationen zu legitimen Angriffszielen erklärt und ausländische Mitarbeiter wochenlang als Geiseln genommen. Auch im März ging die Sabotage weiter. Konsequenz: Die Produktion des weltweit achtgrößten Erdölexporteurs sank um ein Viertel.
„Wir betrachten die Ausländer nicht als Geiseln, sondern als Kriegsgefangene“, sagte Mend-Sprecher Bello Oboko der taz wenige Tage bevor die Geiseln freigelassen wurden. „Wir sind gezwungen, sie festzuhalten, um einen Schutzschild gegen die wahllosen militärischen Vergeltungsschläge zu haben.“ Treffen vereinbart Oboko nur in wechselnden Hotels in der Ölstadt Warri. Er fährt in einem unscheinbaren Mittelklassewagen, seine Kleidung ist abgetragen. Das alles unterscheidet ihn vom Auftreten des Chefs der vorherigen bewaffneten Nigerdelta-Gruppe, Mujahid Dokubo-Asari. Der Führer der NDPVF (Niger Delta People’s Volunteer Force) aus dem östlichen Teil des Deltas fühlte sich schon nach kurzer Zeit so sicher und unantastbar, dass er seine Unterkunft in den Mangrovensümpfen gegen ein luxuriöses Leben im Villenviertel der Ölstadt Port Harcourt eintauschte. Sein Reichtum stammte aus dem Anzapfen von Pipelines und billigem Weiterverkauf an die örtliche Bevölkerung. Bis er Ende 2005 einem Gesprächsangebot der Regierung Glauben schenkte, in Nigerias Hauptstadt Abuja reiste und sich wegen Hochverrats im Gefängnis wiederfand.
Bewaffneter Widerstand
Bello Oboko kommt vom Volk der Ijaw, dem viertgrößten Volksstamm Nigerias. Schon vor der Unabhängigkeit des Landes 1960 gab es Rufe nach einer Autonomie der Ijaws. Sie rühmen sich, nie von der britischen Kolonialmacht besetzt worden zu sein. Oboko stellt die Aktivitäten von Mend in eine alte Widerstandstradition. „Die Mutter von Ken Saro-Wiwa wollte uns nach seinem Tod nicht vom Widerstand abbringen. Und auch nicht die vielen Mütter, die ihre Kinder unter dieser Regierung verloren haben. Also kämpfen wir weiter!“
Seit Ende der 50er-Jahre wird in Nigeria Erdöl unter miserablen Umweltstandards gefördert. International bekannt wurde der Widerstand im Nigerdelta mit dem Aufstand des Ogoni-Volkes Anfang der 90er-Jahre. Höhepunkt war die Ermordung des Schriftstellers und Ogoni-Führers Ken Saro-Wiwa durch ein Kommandogericht der nigerianischen Militärdiktatur 1995. Saro-Wiwa hatte noch den gewaltfreien Widerstand gepredigt. Doch aufgrund der harten Repression des Militärs wählte die neue Generation den Weg des bewaffneten Kampfes.
„Für mich sind die Mend-Kämpfer nigerianische Universitätsabsolventen. So wie sie sich ausdrücken, verhandeln und ihre Aktionen planen“, sagt Chido Okafor, Korrespondent der nigerianischen Tageszeitung The Guardian in Warri. Dafür spricht auch, wie die Geiselnahmen der Mend abliefen. Zwei Geiselgruppen mussten mehrere Wochen in den Mangrovensümpfen verharren, bevor sie nach Dutzenden von Verhandlungsrunden freikamen. Es schien nicht in erster Linie um Lösegeld zu gehen. Auf der Forderungsliste zur Freilassung der Geiseln fanden sich politische Bedingungen: Freilassung von gefangenen Rebellen, Abzug der internationalen Ölkonzerne aus dem Delta. Die Konsequenz, mit der darauf beharrt wurde, war ein Novum. Früher gingen Entführungen ausländischer Ölarbeiter nach kurzer Zeit zu Ende. Man suchte sich morgens auf einer der Pumpstationen einen Weißen und konnte sicher sein, am Abend einen Geldkoffer von Shell oder Chevron entgegenzunehmen.
Anarchie im Delta
Die Jugendmilizen, aber auch ein Großteil der Bevölkerung des Nigerdeltas, entfernen sich jedoch immer weiter vom Rest der Gesellschaft. Die Region ist so marginalisiert, dass sie selbst an nigerianische Verhältnisse den Anschluss verloren hat. Die Milizen haben eigene Dschungelcamps gegründet, die staatlicher Kontrolle weitgehend entzogen sind. In Eferesuogbene zum Beispiel sind die fünf Pumpstationen von Shell das einzige Zeichen einer modernen Welt. Die Pumpstation „Batan“ besteht aus zusammengesteckten Rohren aus schwarzen Stahl, die in einer Flusslagune stecken. Kein Zaun, keine auffällige Technik. Das Gebilde wirkt altertümlich, wie eine Dampfmaschine im Wald.
„Die aufständischen Jugendlichen sind nicht weit von hier“, sagt ein Dorfbewohner von Eferesuogbene. Angst hat er vor ihnen nicht. Sie gehörten ja hierher. Nur mit den Geiselnahmen seien sie nicht einverstanden. Aber alles andere sei ihr gutes Recht. Die Gewalt scheint sie nicht zu beunruhigen. Für sie sei das Leben hier sowieso nicht mehr lebenswert, sagt Dorfsprecher Joseph Amakiri.
Die Regierung behauptet, dass die gesamte Bevölkerung im Nigerdelta sich in Geiselhaft der Milizen befindet. Sie sagen, dass die Rebellen Erdöl aus den Pipelines abzweigen und damit ein Millionengeschäft auf dem Rücken der Bevölkerung betreiben. Aber selbst der Minister für innerethnische Beziehungen im Bundesstaat Delta, Ovuozorie Maculaly, nennt das eine böswillige Verdrehung der Wahrheit. „Es sind Top-Funktionäre und hochrangige Militärs in der Hauptstadt, die über die notwendige Logistik und Kontakte verfügen, um Öl zu schmuggeln. Die kleinen Leute im Nigerdelta sind höchstens Handlanger.“ Vergangenes Jahr wurde zwei Marineoffiziere verhaftet, nachdem zwei Erdöltanker unter ihrer Aufsicht verschwanden.
Die Regierung ist nicht in der Lage, eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen. Entwicklungsprogramme blieben erfolglos. Und der Staat bevorzugt gegenüber den Rebellen die militärische Lösung. Doch die Armee ist in diesem unzugänglichen Terrain überfordert. Selbst hochrangige Offiziere gestehen ein, dass der Konflikt nicht militärisch gelöst werden kann. Zu perfekt sind die Verstecke in den Sümpfen, viel zu gut kennen sich die Aufständischen im Flusslabyrinth aus.