: Leben am Rande von Schutt und Gift
Im Kosovo hausen 61 Romafamilien direkt neben riesigen Halden hochgiftigen Abfalls. Angesiedelt wurden sie dort von der örtlichen UN-Mission Unmik. In ihre alten Häuser können sie nicht zurückkehren, die haben sich längst andere angeeignet
AUS MITROVICA ERICH RATHFELDER
Selbst für das katastropengewohnte Kosovo ist die Geschichte ein Skandal. Schon von weitem sind die dunklen Abraumhalden zu sehen. Am nördlichen Rand der Stadt Kosovska-Mitrovica türmt sich der Abfall des Bergwerks von Trepca. Hier liegt der hochgiftige Schutt, der von der Bleigewinnung übrig bleibt. Und am Rande dieser Schuttberge, nur durch den schmalen Fluss von den Halden getrennt, leben Menschen. 61 Romafamilien mussten sich vor 7 Jahren in Hütten aus Wellblech, Spanplatten und Brettern hier einrichten.
Nicht nur die ethnischen Spannungen und die wirtschaftliche Krise sind für diese Zustände verantwortlich, vor allem ist es die internationale Gemeinschaft. Denn die Roma wurden von der UN-Mission im Kosovo, der Unmik, die das Land seit 1999 verwaltet, hier angesiedelt.
Der Führung der Unmik sind Berichte über die Zustände in Mitrovica unangenehm. Die sonst hilfsbereiten Mitarbeiter des Pressebüros halten sich mit Informationen zurück. Selbst die Mitarbeiter der Hilfsorganisation Norvegian Peoples Aid sind offenbar gehalten, Journalisten gegenüber vorsichtig zu sein. „Ich darf nicht mit Ihnen sprechen“, erklärt Hasan, der für das Romaprojekt dieser Organisation mit verantwortlich ist. Immerhin weist er den Weg zur Siedlung und damit zu „Jim“.
Der kräftig gebaute Mann will seinen richtigen Namen nicht nennen, ist aber zu einem Rundgang durch die Romasiedlung bereit. Über Bahnschwellen führt der vom Regen aufgeweichte Weg zu den Hütten. Einige Männer laden Blech und Alteisen auf einen alten Lastwagen. „Wir handeln mit Serben und Albanern gleichermaßen“, sagt Jim, der neben Romani Albanisch und Serbisch beherrscht. „Sieh mal da drüben auf den Halden, das Wasser spült den Dreck in den Fluss. Wir brauchen das Wasser aus dem Fluss, wir haben kein fließend Wasser. Im Sommer ist alles voller Staub. Das ist lebensgefährlich.“
31 Menschen seien an den Folgen der Kontamination gestorben. Seine Familie lebt in einer Hütte mit zwei Zimmern. Sein jüngstes Kind, ein zweijähriges Mädchen, ist zwar blass, doch noch gesund. Sein 70-jähriger Vater hatte kürzlich einen Herzinfarkt. „Wir müssen hier weg. Wir wollen wieder zurück in die Bosanska Mahala, auf unseren Grund und Boden.“
Als französische Truppen nach dem Nato-Krieg gegen Serbien im Sommer 1999 in Mitrovica einrückten, blieben sie auf der Brücke des Ibar, der die Stadt in zwei Hälften teilt, stehen. Der südliche Teil wurde fortan von Albanern beherrscht, der nördliche von Serben. Nur ein schmaler Streifen am nördlichen Ufer, die Bosanska Mahala, wurde dem Süden zugesprochen. In diesem Streifen lebten damals 7.000 Roma. „Die französischen Soldaten, die an der Demarkationslinie standen, brauchten für ihre Panzer Platz. Sie zerstörten einfach unsere Häuser“, sagt der 38-Jährige.
Dann wird er ernst. Die Rückkehr der Familie ist infrage gestellt. Auf Jims Besitz sind neue Häuser gebaut. Albaner haben sich die von den Franzosen zerstörten Grundstücke illegal angeeignet. Auch das hat die UN-Mission zugelassen.
Um den Roma entgegenzukommen, hat die UN-Mission vor wenigen Monaten eine Containersiedlung aufgebaut. Jim macht einige große Schritte, so als messe er die Entfernung ab. „Die neue Siedlung ist genau 100 Meter von der alten entfernt. Die Luft ist die gleiche, was bringt die neue Siedlung also?“ Die Container sind von einem Zaun und von Wächtern umgeben. Für jede Familie steht ein Raum zur Verfügung. „Die sind zwar sauber, aber wir haben nur Gemeinschaftstoiletten.“ Jim und seine Familie weigern sich umzuziehen und riskieren Krach mit den Verantwortlichen der UN.
Immerhin haben die Roma Verbündete gefunden. Erste Presseveröffentlichungen im letzten Herbst führten zu harscher Kritik und Protesten von Menschenrechtsorganisationen. Experten der Weltgesundheitsorganisation empfahlen, die Siedlung aufzulösen und die Roma an ihre ursprünglichen Orte zurückzubringen. Ein Programm im Umfang von 8 Millionen Euro soll aufgelegt werden, heißt es im Unmik-Hauptquartier in Prishtina, doch ist außer der Containersiedlung wenig geschehen. Jim wird wohl noch lange um seinen Besitz kämpfen müssen.