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Archiv-Artikel

„Wer ist schon gerne im Krankenhaus?“

EHRENAMTLICHE PFLEGE Sie holen die Zeitung, ein Getränk, sind da für ein Gespräch: Grüne Damen und Herren kümmern sich ehrenamtlich um Patienten. Damit unterstützen sie das Pflegepersonal, dem meist die Zeit zum Plaudern fehlt

VON AMADEUS ULRICH

Hier, im Zimmer 219, hat Waltraud Rehder viele Stunden verbracht. Dort lag einst eine Patientin aus Hanau. Sie war keine 30, todkrank, hatte keinen Dünndarm mehr. Rehder besuchte sie jede Woche, sprach mit ihr. Über Krankheit, Leben, Tod. Die 76-Jährige mit dem hellgrünen Kittel und die Patientin freundeten sich an. Lachten, weinten zusammen. Bis die kranke Frau entlassen wurde. Rehder schrieb ihr weiterhin SMS. Irgendwann kam die Antwort, es gehe ihr wieder schlechter. Es war die erste und letzte Nachricht. Rehder löschte die Nummer, als würde sie damit auch die Erinnerung tilgen.

Das ist lange her, aber sie kann es nicht vergessen. Es war einer dieser Fälle, die ihr besonders nahe gehen. „Es ist ein belastendes Ehrenamt“, sagt Waldtraud Rehder. Seit fünf Jahren ist sie eine Grüne Dame im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg. Dort verbringt sie jede Woche etwa drei Stunden. Jeden Dienstag klopft sie an zehn Türen, spricht mit Patienten, besorgt etwas für sie.

Heute liegt im Zimmer 219 eine ältere Dame mit geistiger Behinderung. Waltraud Rehder steht vor ihrem Bett, hält ihre Hand, in der eine Kanüle steckt – eine Bluttransfusion, der Beutel ist fast leer. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Rehder fragt, wie es ihr gehe. „Ich habe Heimweh“, sagt die Kranke.

Meist führe sie nette Gespräche und schaffe es, die Patienten aufzuheitern, sagt Rehder. „Denn wer ist schon gerne im Krankenhaus?“

Etwa 11.000 grüne Damen und Herren gibt es bundesweit. Sie werden betreut von der Evangelischen Krankenhaushilfe in Bonn, einem 1969 gegründeten Verein, der die Arbeit der Ehrenamtlichen koordiniert, sie vermittelt und schult. „Grüne Engel“ werden sie auch genannt: Diese Menschen, die wie Waltraut Rehder in Krankenhäusern ehrenamtlich mit Patienten sprechen, ihnen etwas zu trinken oder die Zeitung bringen.

Sie tragen hellgrüne Kittel, daher der Name. Und für die meisten Kliniken sind die Ehrenamtlichen kaum wegzudenken. Arbeitsverdichtung, Stress, Zeitmangel: Das sind Probleme, mit denen viele Krankenhäuser kämpfen. So fehlt oft die Zeit für die vermeintlich kleinen Dinge, die über die „Wie-geht-es-Ihnen-heute?“-Frage hinausgehen.

„Wir sind allerdings keine Fachleute“, sagt Eva Federau. „Wir entlasten nur das Pflegepersonal.“ Die 80-Jährige ist ebenfalls eine Grüne Dame im Israelitischen Krankenhaus. Sie hatte damals Waltraud Rehder die Klinik gezeigt. Federau sagt, man brauche viel Empathie und Geduld, um Grüne Dame zu sein; dann aber sei es erstaunlich, wie viel Vertrauen einem die Patienten entgegenbrächten. Fremde. Waltraud Rehder zum Beispiel hat schon Wertsachen aus Wohnungen geholt oder für Patienten Groß-Einkäufe erledigt. Einmal gab ihr sogar jemand seine Bankkarte inklusive Pin-Nummer.

Dass sich die meisten Patienten freuen, mit jemandem reden zu können, sieht man, wenn man Waltraud Rehder auf ihrem Rundgang begleitet. Die Patienten erzählen oft von ihren Ängsten. Und keiner sagt, es gehe ihm gut, jeder hat etwas zu monieren. „Wie geht’s?“ – „Ach, na ja.“

Viele sind kurz vor einer Operation, manche haben sie schon hinter sich und sprechen mit schwacher Stimme. Andere wissen nicht, was ihnen fehlt und stellen unendlich viele Theorien auf: „Was, wenn es doch Bauchspeicheldrüsenkrebs ist?“ Andere klagen über das Krankenhaus-Essen: „Der Spinat, nee, nee!“

Rehder bedient sich dann gern mal einer Phrase: „Ich kann Ihnen nur alles Gute wünschen“, sagt sie. Oder: „Toi, toi, toi.“ Meist aber spricht sie nicht viel, sondern stellt Fragen und hört zu. Sie merke schnell, wenn jemand nicht mit ihr reden wolle, sagt sie. Denn sie ist sehr geradeheraus: Wenn sie hereinkommt, stützt sie sich mit beiden Händen auf das Bett-Geländer und sagt: „Guten Tag, ich bin Ihre Grüne Dame.“

Dass Waltraud Rehder in jedes Zimmer gehen und mit den Patienten persönlich plaudern kann, ist allerdings etwas Besonders. In größeren Krankenhäusern wie dem Hamburger Universitätsklinikum oder dem Albertinen-Krankenhaus wäre das kaum möglich.

Wechseln wir also die Perspektive und werfen einen Blick in letzteres. Denn dort arbeiten die Grünen Damen und Herren etwas anders als in der vergleichsweise kleinen Klinik, in der Frau Rehder ihre Rundgänge macht. Hier sieht man die Ehrenamtlichen zum Beispiel sofort, wenn man die Klinik betritt; manche sitzen am Empfangstisch. Lotsendienst, so nennt sich ihre Arbeit hier. Sie nehmen Telefonate entgegen und Patienten können sie „buchen“. Außerdem lotsen sie die Patienten zu Untersuchungen und holen sie wieder ab. Zimmerservice im Krankenhaus.

Margot Winter ist die Einsatzleiterin der 42 Grünen Damen und Herren im Albertinen-Krankenhaus. „Wir entlasten das Pflegepersonal“, sagt sie. „Denn Zeit ist heute kostbar – und wir können sie uns nehmen.“ Die Stationsleiterin der chirurgischen Station, Anja Mundt, bestätigt das: „Die Ehrenamtlichen nehmen sich viel Zeit, die das Pflegepersonal durch die zunehmende Arbeitsverdichtung immer weniger hat.“ Das sei in allen Krankenhäusern der Fall. „Deshalb sind die Grünen Damen und Herren für uns von unschätzbarem Wert.“

Zurück zu Waltraud Rehder, die froh ist, an jeder Zimmertür ihrer Station klopfen zu können. Aber warum macht sie das? Sie habe ein Helfersyndrom, sagt sie. Seit etwa 40 Jahren pflege sie ihren Ex-Ehemann. Obwohl er sie vor der Trennung sehr verletzt habe. Er leidet an einer schweren chronischen Lungenerkrankung und muss ständig betreut werden. Nach der Operation hat er rechtsseitig einen Schlaganfall bekommen.

Wie erträgt man das Leid eines Anderen, ohne selbst zu leiden? Als Grüne Dame redet man mit Menschen, die krank sind, meist Angst haben, und bürdet sich somit eine Last auf, die manchmal schwer zu schultern ist. Wer nach der Motivation fragt, hört oft von christlicher Nächstenliebe. Waltraud Rehder allerdings findet, dass dieses Ehrenamt nichts mit Religiosität zu tun hat. Dieses Amt, sagt sie, lebe von Menschen, die gerne hülfen. „Das ist mein Naturell“, sagt sie. Deshalb macht sie weiter – trotz der belastenden Erfahrungen, die sie manchmal macht. Denn letztlich, sagt sie, sei es bereichernd, einem kranken Menschen etwas Gutes zu tun. Dann könne eine Kleinigkeit die Welt bedeuten. Und wenn es nur die ans Bett gebrachte Zeitung sei.