: Arm zahlt für Reich
Von HEIDE OESTREICH
Arbeitslose, Alleinerziehende und Geringverdiener verlieren mit dem geplanten Elterngeld die Hälfte ihres heutigen Erziehungsgeldes. Das bestätigte gestern die Vizefraktionschefin der SPD, Nicolette Kressl, der taz. „Wir haben eine Verschiebung der Leistungen ins erste Jahr hinein“, erklärte Kressl. Der SPD-Fraktion sei wichtig, dass mit dem neuen Elterngeld „niemand im ersten Jahr schlechter dastehen darf“, so Kressl. Deshalb kämpfe die SPD dafür, dass das Elterngeld nicht mit dem Arbeitslosengeld II verrechnet werde, wie die CSU es fordert.
Im zweiten Lebensjahr des Kindes allerdings, in dem Eltern bisher ebenfalls 300 Euro Erziehungsgeld beziehen konnten, gibt es in den Elterngeld-Plänen keinen Zuschuss mehr. „Das zweite Jahr gibt es so nicht mehr“, bestätigte die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Christel Humme, der taz. Von dieser Kürzung betroffen wären laut Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands etwa 100.000 Kinder und ihre Eltern. 100.000 weitere kämen hinzu, wenn auch das erste Jahr Elterngeld vom Arbeitslosengeld II abgezogen würde. Familien mit mittleren und höheren Einkommen können mit dem geplanten Elterngeld im ersten Jahr ihr Einkommen gegenüber der heutigen Regelung erheblich aufbessern. Sie hatten bisher keinen Anspruch auf Erziehungsgeld. In Zukunft aber können sie mit dem Elterngeld 67 Prozent des vorherigen Lohns ersetzen.
Geringverdiener und Arbeitslose dagegen bekommen heute zwei Jahre lang 300 Euro Erziehungsgeld, auch zusätzlich zum Arbeitslosengeld II. Mit dem neuen Elterngeld aber bekommen sie diese 300 Euro als Sockelbetrag des Elterngelds nur noch ein Jahr lang. Das sei auch in der SPD-Fraktion so gewollt, sagt Nicolette Kressl: „Es gibt in der Fraktion eine grundsätzliche Akzeptanz für diese Regelung. Wir stehen dazu.“ Sozialexperte Karl Lauterbach allerdings ist gegen das Elterngeld in dieser Form (siehe unten).
„Das ist eine Umverteilung von den Armen zur Mittelschicht“, analysiert Markus Kurth, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. „Die Regierung betreibt damit Bevölkerungspolitik: Den armen Menschen soll das Leben sauer gemacht werden, die Reichen sollen sich fortpflanzen.“ Auch die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Irmingard Schewe-Gerigk, warnt vor der „Umverteilung innerhalb der Familien“: „Es kann doch keine Schlechterstellung derjenigen geben, die sowieso schon kein Geld haben.“ Klaus Ernst, Vizefraktionschef der Linkspartei spricht von „einer heimtückischen und dreisten Kürzung um 50 Prozent“.
Entsetzt von dieser Regelung ist der Verband alleinerziehender Mütter und Väter. „Es ist inakzeptabel, auf dem Rücken der Alleinerziehenden und Arbeitslosen die Fortpflanzung der Mittelschicht zu finanzieren“, sagte Referentin Sabina Schutter der taz. Während das Familienministerium und die CDU sich vor dem Koalitionsgespräch am kommenden Montag nicht mehr äußern wollen, wirbt Christel Humme von der SPD um Verständnis: „Es ist ein harter Kampf, das Elterngeld im ersten Jahr für die Arbeitslosen überhaupt zusätzlich zum Arbeitslosengeld II zu sichern. Das war im Koalitionsvertrag nämlich nicht vorgesehen“, erklärte Humme. Sie sei froh, wenn sie diese Errungenschaft retten könne. Zudem werde nach einer Lösung gesucht, wie Geringverdiener im ersten Jahr besser vom Elterngeld profitieren könnten.
Doch auch die Sozialverbände weisen schon lange auf diese Umverteilung von unten nach oben hin. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, meint schon etwas resigniert: „Das Mindeste, was geschehen muss, ist, dass das Elterngeld nicht mit dem Arbeitslosengeld verrechnet wird.“
Im Koalitionsausschuss soll am Montag eine endgültige Regelung gefunden werden. Die Kappung des Erziehungsgelds für arme Familien steht aber wohl nicht mehr zur Diskussion. Es wird lediglich die von der CSU geforderte Verrechnung mit dem Arbeitslosengeld debattiert. Würde die CSU-Regelung Gesetz, dann verlören ärmere Familien auf einen Schlag das gesamte Einkommen aus dem bisherigen Elterngeld, 7.200 Euro.