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Archiv-Artikel

„Die jüdische Gemeinde ist hier, um zu bleiben“

Seit 1998 hat das American Jewish Committee ein Büro in Berlin. Die Verbindungen zu Deutschland reichen aber fast hundert Jahre zurück

Schon der Gruppe jüdischer Honoratioren, die vor 100 Jahren in New York das American Jewish Committee (AJC) gründete, lag Deutschland am Herzen – weil die meisten von ihnen deutscher Abstammung waren. Obwohl Anlass der Gründung der Menschenrechtsorganisation damals in erster Linie die judenfeindlichen Pogrome im russischen Zarenreich waren, gab es schon in den 20er-Jahren im AJC warnende Stimmen, dass die NSDAP in Deutschland unter Adolf Hitler eine Gefahr für das deutsche Judentum werden könnte.

Anfang der 30er-Jahre versuchte das AJC, einem Vorgänger des heutigen Zentralrats der Juden, dem „Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“, mit einer Spende von 7.500 Dollar im Kampf gegen die Nazis zu helfen. Und das, obwohl man glaubte, dass das deutsche Rechtssystem und vor allem rationale Argumente den Nazis bald den Garaus machen würden. Außerdem gab es auf deutscher Seite die Besorgnis, dass zu viel offene Hilfe durch jüdische Organisationen aus dem Ausland die Nazipropaganda von einer internationalen jüdischen Verschwörung befeuern würde.

Sobald Hitler 1933 an die Macht kam, änderte sich diese Politik – die Warnungen des AJC vor der Judenpolitik der Nazis wurden dringender –, obwohl es beim AJC auch da die Befürchtung gab, man werde in den USA als Kriegstreiber abgestempelt. Mit Kriegsbeginn 1939 engagierte sich das AJC zusammen mit anderen jüdischen Organisationen für die Rettung verfolgter Juden in Europa. Es organisierte in den USA Massendemonstrationen, um internationale Aktionen zur Hilfe der verfolgten Juden zu erreichen. Ansonsten war das AJC vor allem auf symbolische Gesten angewiesen – etwa den ersten jüdischen Gottesdienst, den die Organisation mit jüdischen US-Soldaten noch während des Krieges auf deutschem Boden abhielt: Das Gebet wurde Ende 1944 im befreiten Aachen gehalten und vom Rundfunksender NBC ausgestrahlt.

Unmittelbar nach dem Krieg, schon 1945, sandte das AJC seine ersten Repräsentanten nach Deutschland – vor allem, um den Displaced Persons, den heimatlosen Holocaust-Überlebenden, zu helfen. Das AJC zeigte sich erstaunlicherweise immer zuversichtlich, dass eine „Re-Education“ der Deutschen zu demokratischem Denken möglich sei und dass dies auch die nach dem Krieg weiterhin noch sehr starken antisemitischen Ressentiments verringern werde. So verabschiedete das AJC beispielsweise Pläne für einen Wissenschaftleraustausch und ein Demokratietraining für deutsche Lehrerinnen und Lehrer. Seit 1980 organisierte das AJC mit der Konrad-Adenauer-Stiftung ein Programm zur Begegnung von (West-)Deutschen mit amerikanischen Juden.

Obwohl es unmittelbar nach dem Fall der Mauer 1989 im AJC auch gewisse Befürchtungen gab, dass das wiedervereinigte Deutschland sich erneut aggressiv gegen seine Nachbarn verhalten könnte, wurde das Ende des Kalten Krieges doch zuvörderst als Chance begriffen. Dies fand seinen Ausdruck vor allem darin, dass im Februar 1998 im Mosse-Palais am Leipziger Platz in Berlin ein AJC-Büro eröffnet wurde. Seit Anfang 2000 wird es von Deidre Berger geleitet. Sie hat das AJC in Regierungskreisen wie unter Nichtregierungsorganisationen noch bekannter gemacht.

Die Fotos an den Wänden des AJC-Büros mit vielen Köpfen der Bundespolitik zeigen die eine Seite der Aktivitäten: den Kontakt mit deutschen Politikerinnen und Politikern – „ein Netzwerk von politischen und diplomatischen Kontakten“, wie es das AJC nennt.

Hinzu kommt die Organisation von Konferenzen und Seminaren, Podiumsdiskussionen, Austauschprogrammen und Expertentreffen: etwa eine „Task Force Antisemitismus und Erziehung“, eine Aktionsgruppe von Bildungsexperten, die sich alle zwei Monate trifft, ein Toleranzerziehungsprogramm an Berliner Schulen oder ein jüdisch-türkischer runder Tisch. Die AJC-Aktivitäten in Deutschland durchzieht ein US-amerikanischer Grundoptimismus, dass die besten Zeiten erst noch kommen werden. „Ich sage voraus: Es wird wieder einen starken jüdischen Einfluss in Deutschland geben“, so der erste AJC-Büroleiter Eugene DuBow, ein würdiger alter Herr, 1998. „Die jüdische Gemeinde ist hier, um zu bleiben.“

Philipp Gessler