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Archiv-Artikel

Wir bauen uns eine neue Stadt

POP & GENTRIFIZIERUNG Ein Panel auf der Leipziger Musikmesse PopUp untersuchte, ob Künstler heruntergewirtschaftete Immobilien aufwerten

Die kulturelle Aufwertung von Stadtteilen durch den Zuzug von Kreativen und Investitionswilligen ist in ganz Deutschland im Gange

Die „Bunte Republik Neustadt“ in Dresden, ehedem ein politisches Statement, ist zur studentischen Partymeile geworden. Im Leipziger Westen ist der Club „Superkronik“, der sich als Ort für „außergewöhnliche“ Musik und Kunst versteht, durch die Sanierung von Stadtvillen bedroht.

Die kulturelle und in der Folge ökonomische Aufwertung von Stadtteilen durch den Zuzug von Kreativen und Investitionswilligen, genannt Gentrifizierung, ist in ganz Deutschland in vollem Gange. Sie trifft je nach Großstadt auf unterschiedliche Bedingungen, abhängig vom Wohnungsleerstand sowie der Kooperationsbereitschaft und Verhandlungskompetenz von Behörden und Künstlern. In Leipzig widmete sich auf der Musikmesse PopUp die Diskussion „Meine Miete steigt, also brennt dein Auto!“ diesem Themenfeld.

Teilnehmer waren der Urbanist Karsten Gerkens, die Künstlerin Silke Streets, der Hamburger Autor Christoph Twickel sowie taz-Autor Uwe Rada.

Karsten Gerkens begrüßt die wirtschaftliche Aufwertung der betreffenden Stadtteile durch Künstler. Allerdings hält er sich merklich bedeckt, als es um eine mögliche Beteiligung von Künstlern am Ertrag der aufgewerteten Immobilien geht.

Dass es wichtig sei, Freiräume zu erhalten, darüber sind sich alle Redner einig, nur, wie dies dann im Einzelfall aussehen soll, bleibt offen. Ein grundlegendes Manko ist, sagt Twickel, dass sich der Charakter eines Stadtviertels letzten Endes über die Summe von Einzelfällen konstituiert. Konzepte wie das Freiburger „Mietshäuser Syndikat“ und der Kauf von 24.000 qm Leipziger Brachlandes durch 24.000 Mitglieder, die je einen Euro entrichten und damit das Grundstück nur als Gruppe besitzen, werden in die Diskussion gebracht.

Ist es eigentlich nötig, dass Künstler zu Eigentümern werden, um sich Freiräume für ihre Kunst zu erhalten? Vom Besetzer zum Besitzer gewissermaßen. Sind Künstler überhaupt gewillt, neben Werbeagenturen ihr Atelier zu haben? Oder entziehen sie sich nicht lieber der Gentrifizierung durch Umzug? Um dann in einem anderen Viertel erneut zu gentrifizieren, aber fürs Erste unbehelligt von kapitalistischen Strukturen zu bleiben.

Das spiegelt die Schizophrenie und Ironie der Situation von Kunstschaffenden wider, die zum Werkzeug der Gentrifizierung werden. Um diesem Dilemma zu entkommen, müssen sich Künstler vergegenwärtigen, welche Bedeutung ihre Projekte für ihren Stadtteil haben.

Netzwerke wie das Leipziger „Lindenow“, das sich dafür engagiert, Orte für bildende Kunst zugänglich zu machen, tragen dazu bei, den Diskurs zu entmystifizieren. Die Auseinandersetzung über Wohnraum ist zum notwendigen Bestandteil der Kunst geworden. Denn schließlich besteht ihr Potenzial darin, Verbindungen zwischen Nachbarn herzustellen und aktives, reflektiertes Bewohnen von städtischen Räumen zu befördern.

Raum für Experimente

Gegen Ende der Diskussion schaltet sich ein junger, linker Aktivist aus dem Publikum ein. Er vermisst den Raum für soziale Experimente in der Stadtstruktur. Seine Polemik gegen die Podiumsteilnehmer versinnbildlicht den Unterschied zwischen Widerstand aus dem Jugendzentrum und der Verhandlungsbereitschaft von Endzwanzigern über Konzepte. Solange Polit-Aktivisten und bildende Künstler keinen Konsens finden und damit in der Lage sind, konstruktive, langfristige Abmachungen mit den zuständigen Städteplanern zu schließen, kostet es beide Gruppen mehr Kraft, die Gentrifizierung zu bremsen.

KAY ENGELHARDT