: Eine Kaffeefahrt durch Nicaragua
Schwarzwälder Kirsch unter Banane: Wer in Jinotega bei Mausi auf ein Stück Torte einkehrt, ist meist unterwegs Richtung Kaffee oder er besucht Nicaraguas älteste spanische Stadt Granada. Die Kooperative in Jinotega gehört zu den „TransFair“-Lieferanten
von THOMAS HEINLOTH
Wie ist er nur auf diesen Namen gekommen? An einem Augusttag im Jahr 1973 erschien Eddy Kühl, Nachfahre deutscher Einwanderer und reichster Bauer in der Gegend, in der Gemeindeverwaltung von Matagalpa, um Papiere für seine Frau zu beantragen. Ihren Vornamen, Annegret, verschwieg er beharrlich. Stattdessen diktierte er den Beamten: M-A-U-S-I. So hatte er sie immer genannt. Und so steht es nun in ihrem Pass. Seit diesem Augusttag trägt Mausi Kühl ganz offiziell den für sie unpassendsten aller denkbaren Vornamen.
Mausi, 57 und nicht zierlich, steckt in Gummistiefeln und einem verdreckten Arbeitsoverall, die Hände in die Hüften gestemmt, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ihr Blick sagt: keine Widerrede. An Mausi würde ein Patronengurt kaum überraschen, doch Mausi braucht keine Feuerwaffen, sie hat ein Walkie-Talkie. „Wer hat den Bewässerungshahn für die Bananen abgedreht?“ Krschkt. „Antonio, kümmer dich um die Ziegen!“ Krschkt. „Marta, ist der Toyota wieder repariert?“ Krschkt. So geht das den ganzen Tag.
Mausi Kühl regiert ein kleines Königinnenreich, vier immergrüne Hügel groß, im Hochland Nicaraguas. 250 Mitarbeiter, 1.000 Rinder, ein paar hundert Hektar Obst und Gemüse, eine Hühnerfarm, eine kleine Schule, eine Wurstfabrik, drei Baseballteams und ein Hotel mit 22 Bungalows.
„Selva Negra“, Schwarzwald, haben Mausi und ihr Mann ihr Reich getauft, nach der Gegend, von der aus Eddys Ururgroßvater damals aufbrach, um in Mittelamerika ein neues Leben zu beginnen. Das Bild des ersten Kühl in Nicaragua hängt im Restaurant zwischen Kuckucksuhren und vergilbten Fotos, und auf karierten Tischdecken serviert Mausi Selbstgebackenes, Schwarzwälder Kirsch. Eine Kompromissvariante. „Schattenmorellen“, sagt sie, „können Sie hier lange suchen.“
Wer hier auf ein Stück Torte einkehrt, ist meist unterwegs Richtung Kaffee. Der „Schwarzwald“ liegt auf halbem Weg zwischen der Hauptstadt Managua und dem hohen Norden, wo Nicaraguas größter Bodenschatz gedeiht: schulterhoch und dunkelgrün und jetzt im Herbst voll harter Früchte. Fast jeder hier hat ein paar Sträucher hinterm Haus, Kaffee bringt mehr ein als Bananen und Papaya. Für einen 44-Kilo-Sack voll blasser Bohnen zahlen sie in der Kooperative von Jinotega derzeit rund 90 Dollar. Mehr ist nirgends zu bekommen, denn die Kooperative gehört zu den „TransFair“-Lieferanten, die jeden Sack Kaffee fünf Dollar über dem aktuellen Weltmarktpreis nach Europa verkaufen – ein Solidaritätszuschlag. Der wird vor allem in Deutschland gern bezahlt.
Am Probiertresen der Kooperative haben sie ein buntes Sortiment Halbkilopackungen aufgebaut, es liest sich wie ein Verzeichnis deutscher Dritte-Welt-Initiativen. Die „Fairstärkung“ aus Oldenburg wird hier abgefüllt, der „Heidelberger Partnerschaftskaffee“ und auch die legendäre „Sandino-Dröhnung“, die linken Wohngemeinschaften in den 80ern Morgen für Morgen den Magen verdarb. Das aber ist Geschichte. Der Kaffee, den sie hier heute rösten, ist eine Sensation. Ausgewogen. Körperreich. Francisco Javier Valle García steht dafür grade, der Geschäftsführer der Kooperative und Jinotegas oberster Kaffee-Sommelier.
Jede Bohne, die zur Röstung kommt, muss Franciscos geschulte Nase passieren, eine harte Prüfung, denn Kaffee wird hier verkostet wie anderswo ein Wein. Francisco schnüffelt – gemahlen und ungemahlen, nass und trocken, heiß und kalt, saugt den Duft ein mit der Nase, lässt groben Kaffeesatz über die Zähne gleiten, schließt die Augen, rollt die Zunge und vergibt schließlich Punkte: sein Urteil über Säure und Aroma, Körper und Buket, Bitterstoffe und Balance. „Jede Bohne“, sagt Francisco, „ist ein bisschen anders und erzählt, woher sie kommt.“
Die Bohnen aus Jinotega erzählen seit ein paar Jahren von Orangen, denn Francisco hat den Bauern in der Umgebung geraten, Zitrusfrüchte zwischen den Kaffee zu setzen, damit die Blüte deren Duft annimmt. Viel Zeit hat sie dazu nicht: Kaffee blüht nur einen Tag im Jahr, und zwar leuchtend weiß.
Längst decken sich auch die großen internationalen Hersteller in Jinotega und Umgebung ein, in fast jeder Supermarkt-Standardröstung steckt ein Stückchen Nicaragua. Der Boden im Hochland ist warm und satt und Nährboden für alles, was süße Glücksmomente und Versuchungen verspricht: Kaffee wächst hier, Kakao, Bananen, Zuckerrohr, Tabak. Zigarrenraucher fühlen sich in den Plantagen rund um Esteli wie Weinliebhaber in den Burgunder Bergen. Von hier kommen die Deckblätter, die es bis in die exklusivsten Humidore schaffen. Und die schönsten Blätter tragen Dona Elbas Banderole.
Dona Elba ist schon lange weg, in Kalifornien, wo Arnold Schwarzenegger Gouverneur ist und ihre Zigarren raucht. Sein Poster hängt über Dona Elbas altem Tresen, dort, wo sie früher stand und die Kistchen rüberreichte, am Ortsausgang von Granada, der alten Kolonialstadt, ein paar Autostunden südlich von den Plantagen, wo der Tabak wächst. Heute steht an diesem Tresen Silvio Reyes, mit ein paar hundert Karat an jedem Handgelenk und einem immer breiten Lächeln, in dem ein Zigarillo steckt. Wenn Reyes der Welt gerade keine Zigarren verkauft, steckt er ihr welche zu. „Nehmen Sie die hier“, sagt er verschwörerisch und zeigt auf das Poster an der Wand, „die raucht auch der Gouverneur“.
Im Hinterhof entsteht des Gouverneurs Ware sorgsam und in Handarbeit: Fünf verschiedene Blätter, die ersten vier rollt der Bonchero, es wird gepresst, danach wird die Zigarre Frauensache: Das Deckblatt legt man bei Dona Elba ausschließlich in weibliche Hände. Die, heißt es, sind geschickter. Ein knappes Dutzend Arbeiter fertigt hier exklusive Tabakware, an ein paar patinierten Mahagonitischen rund um einen Kalebassenbaum. Es laufen: ein Fernseher, ein Radio und ein Grammofon. Und doch: Es ist nicht laut. Ein Alter mit einem Hut aus Stroh döst in einem Schaukelstuhl.
Ganz Granada döst in einem Schaukelstuhl. Nicaraguas älteste spanische Stadt verbringt den Nachmittag und meist auch den Abend zurückgelehnt, man wippt sich sachte durch den Tag und nickt sich zu. Meist stehen die Stühle in Vierergruppen hinter offenen Türen mit Blick zur Straße und den Pferdedroschken, die im Minutentakt vorbeiklappern. Die Straße runter und die Straße rauf. Granadas Stadtplan kennt nur Geraden und viele rechte Winkel, ein Schachbrett, doch ein kunterbuntes. Und Vorsicht: frisch gestrichen.
Der Konvent San Francisco leuchtet in noch nassem Himmelblau, die Kathedrale an der Plaza Colón bekommt ein pfirsichfarbenes Querschiff, das Rathaus gegenüber streichen sie gerade rosarot. Granada war stets Nicaraguas herausgeputzte Perle. Garibaldi hat hier mal gelebt, und ihm folgten ein paar Architekten, im Gepäck mediterranen Neoklassizismus. Der mischte sich mit dem spanischen Kolonialstil, und nun weht ein Hauch Italien durch die Stadt am Nicaragua-See. Er steht ihr gut.
Auf der Plaza Colón parkt im Schatten von Feigen, Königspalmen und Akazien eine Armada grell lackierter Imbissbuden. Geschabtes Wassereis mit buntem zuckersüßem Sirup gibt es hier, Luftballons, Hotdogs und Lose, und die Eisverkäufer klingeln um die Wette. Ein bisschen Volksfest ist hier immer. Nur am Wochenende nicht, da zieht die bunte Karawane von der Plaza Colón herunter zur Seepromenade, und Granada zieht ihr hinterher. Bis Montagmorgen liegt der Strand voll Picknickdecken, nassen Kindern und Viktoria-Bier-Halbliterflaschen, die Promenade erstickt in Droschken, Minibussen, Eselkarren.
In der „Selva Negra“, dem Schwarzwald Nicaraguas, stieg Eddy Kühls Ururgroßvater einst ab von einem Maultier nach einer langen Reise, fuhr dann mit dem Zug nach Hamburg, anschließend weiter über Southampton und New York bis Bluefield, von dort den Río San Juan entlang und schließlich im Sattel hoch nach Matagalpa, um hier sein Glück zu suchen. Es spricht viel dafür, dass er es fand.