piwik no script img

Archiv-Artikel

„Döner war kein Klischee“

ROLLEN Der Schauspieler Kida Ramadan würde gern einen deutschen Lehrer namens Hans Meier spielen. Jetzt ist er doch wieder Dealer. Ein Gespräch über Filme, Vorurteile und den Orgasmus im Angesicht des Publikums

Kida Ramadan

Der Mensch: Kida Khodr Ramada wird am 8. Oktober 1976 in Beirut im Libanon geboren. Seine Familie flieht wenig später vor dem Krieg in ein Asylantenheim nach Berlin-Kreuzberg, wo Ramadan aufwächst. Heute ist er verheiratet und hat vier Töchter.

Der Schauspieler: Viele Kinozuschauer sahen Ramadan zum ersten Mal in Detlev Bucks Film „Knallhart“. Ramadan spielt darin einen Dealer. Sein erster großer Film war „Kebab Connection“.

Die Serie: Auch in der neuen Web-Reihe „Blutsbrüder“ spielt er einen Drogenhändler – allerdings einen, der aus dem Geschäft aussteigen will und deswegen seinen Nachfolger einarbeitet. In seiner Rolle als Turbo ist Ramadan ab dem 28. Mai auf dem Internetsender www.3min.de zu sehen.

VON BERND PICKERT (INTERVIEW) UND JULIA BAIER (FOTOS)

taz: Herr Ramadan, Sie sind in Beirut im Libanon geboren und in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen. Als Schauspieler verkörpern Sie oft Migranten – etwa in Detlev Bucks Film „Knallhart“. Das nervt Sie. Warum?

Oft entsprechen die Rollen gängigen Klischees wie „Ich bin der Bruder und will nicht, dass meine Schwester mit dem Typen zusammen ist“. Außerdem: zu viel Gewalt, zu viele Waffen. Als Ausländer ist es schwer, in Deutschland unbewaffnet zu spielen. Du wirst speziell besetzt.

Sie lassen sich aber auch so besetzen. Sie könnten die Rollen ablehnen.

Ich versuche immer, so wenig Klischee zu spielen wie möglich. Aber man muss auch leben, wissen Sie. In Frankreich ist das anders, da kannst du als Algerier oder Marokkaner mal einen Arzt spielen. In Schweden besetzen sie die Schauspieler nach ihrem Können und nicht nur nach dem Aussehen. Hier dagegen ist das viel schwerer.

Viele, die Sie kennen, sagen, Sie spielen sich in den Filmen im Grunde selbst.

Wenn du in Kreuzberg aufwächst, dann siehst du auch mal den einen oder anderen Dealer. Du weißt, wie er reagiert, du weißt, wie er tickt. Meine Lieblingsfilme sind Mafiafilme: „Good Fellas“, „Der Pate“. Ich versuche, dem deutschen Publikum so was wiederzugeben. Ich spiele gerne Mafialeute. Wenn mir aber einer sagt, das sei total authentisch, fühle ich mich angegriffen.

Halten die Leute in Ihrer Umgebung Sie denn manchmal für die Figuren, die Sie spielen?

Bei der Premiere von „Knallhart“ saßen sieben, acht Araber in der ersten Reihe, und nach der Vorstellung fragen die mich, ob sie für mich arbeiten können. Einmal kamen in der U-Bahn deutsche Teenies und fragen mich, ob ich ihnen was verkaufe. Sie wüssten ja, dass ich deale. Ich hab sie gefragt, ob sie einen Apfel haben wollten. Ich hatte schließlich auch mal einen Gemüsehändler gespielt.

Welche Rolle würden Sie sich selbst schreiben?

Ich würde gern mal einen richtig deutschen Lehrer spielen. Oder einen Anwalt, aber mit deutschem Namen: Hans Meier, nicht Bülent Çelik. Ich habe mal bei der ZDF-Serie „Der Kriminalist“ mitgemacht. Das war sehr schön, aber ich war türkischer Herkunft. Die Rolle wurde immer kleiner geschrieben, bis ich nur noch Quotentürke war. Dann habe ich aufgehört. Es gibt aber auch schöne Ausländerrollen. Ich hab einen Gefängnisfilm gemacht, in dem ich Blindenführer ausgebildet habe. Da hieß ich „Döner“.

Ausgerechnet das war kein Klischee?

Nein, weil der Typ nicht nur Türke war, sondern ein echter, eigenständiger Charakter.

Machen die anderen Angebote Sie sauer?

Ich denke schon manchmal: Au Mann, muss das jetzt sein? Aber du kriegst beim Film so viel Geld, wie du als Kellner niemals verdienen würdest. Ich habe vier Kinder. Die sehen tausend Sachen im Fernsehen, die sie haben wollen: Nike-Klamotten, Hello-Kitty-Spielzeug. Das musst du alles finanzieren, Alter. Ich hab so was damals nicht gekriegt. Wir sind als Asylanten hergekommen. Wenn ich meinen Vater nach einem Fußball gefragt habe, hat der gesagt: Verpiss dich, wir müssen erst mal den Kühlschrank vollkriegen.

Ihre Familie ist 1977 vor dem Krieg aus dem Libanon nach Deutschland geflohen.

Ich war gerade drei Monate alt. Mein Vater war Vorarbeiter bei Persil gewesen, dieser deutschen Waschmittelfirma. Er hat alle seine Brüder mit in die Firma gebracht, der Chef hat ihn geliebt. Aber wegen des Kriegs hat mein Vater im Libanon keine Perspektive gesehen.

Seine Geschichte klingt filmreif. Ein Selfmade-Man in der Fremde.

Mein Vater hat bei Burger King angefangen und dann in einer Textilweberei gearbeitet, wo er später eine gute Abfindung bekam. Damit hat er eine kleine Kette von Steakhäusern aufgebaut. Dann kam der BSE-Skandal, alles ging den Bach runter. Wir hatten kein Geld mehr, mein Vater wurde herzkrank.

Das Klischee hätte zwei Wege für Sie vorgesehen. Sie hätten Gangster oder Schul-Streber werden können.

Ich musste die neunte Klasse wiederholen und bin ohne Abschluss abgegangen. Ich wusste, ich werde Künstler. Entweder Sprüher oder irgendwas mit HipHop. Ich war immer der Entertainer und habe dafür gesorgt, dass die Leute was zu lachen haben. Wir haben damals mit vierzehn auf dem Ku’damm gebreakt, fünf Kanaken. Einen habe ich den Zuschauern als Juan vorgestellt, den andern als Iwan, den dritten als Chico – aus Puerto Rico und Chile. In Wirklichkeit waren wir Türken und Araber. Als wir die Steakhäuser hatten, hat mein Vater auch immer so getan, als seien wir alle Argentinier. Aber in der Küche standen Ali und Mohammed, nicht Juan und Pablo. Vielleicht hatte ich das von ihm. Ich wollte Künstler sein. Ich wollte nicht bei Mercedes oder Siemens arbeiten. Ich wollte KSK, Künstlersozialkasse.

Haben Sie Kreuzberg als Kind und Jugendlicher als Ghetto wahrgenommen?

Ich war nie in einer Jugendbande, aber ich hatte viele Freunde, die kriminell waren. Da bist du automatisch mal verwickelt in ne kriminelle Aktion. Ich hab aber keinen überfallen oder so. Der Bouleplatz hat mich davon abgehalten, da weiter reinzurutschen. Mein Bruder hat mich mitgenommen. Wir haben viele Turniere gewonnen. Das hat mich rausgehauen, ehrlich. Filmen und Bouleplatz haben mir den Arsch gerettet.

Warum?

Wenn du siehst, dass alle deine Freunde voll viel Geld vom Dealen haben, denkst du schon: Warum nicht ich?

Da hätten wir das nächste Klischee: Aufstieg mit Hilfe von Kunst und Sport.

Manchmal treffen Klischees einfach zu. Wenn wir solche Nasen haben, dann müssen wir die eben auch zeigen.

Sie haben spät angefangen, Ihre Nase als Schauspieler zu zeigen. Da waren Sie Mitte zwanzig.

Der Regisseur Neco Çelik hat mich in einem Jugendtreff in Kreuzberg für seinen Film „Alltag“ entdeckt. Dann ging das gut ab. „Kebab Connection“ wurde mein erster großer Film. Danach hat die Filmwirtschaft langsam erkannt, dass da ein kleiner dicker Araber ist, der vielleicht in das System reinpasst.

Kreuzberg, sagen Sie, sei Ihre Schauspielschule gewesen.

Keine andere Gegend hätte mir diese Chance gegeben. Wäre ich in Zehlendorf groß geworden, hätte ich jetzt mein Abi, säße jeden Tag am PC und könnte Software installieren. In Kreuzberger Jugendclubs kriegst du Workshops angeboten. Da siehste Fressen, Charaktere, und kannst die nachahmen…

War die Schauspielerei für Ihre Eltern in Ordnung? Ihr Vater war ein sehr fleißiger Mann.

Er hat gearbeitet und gearbeitet… Bis er starb. Der hat gesagt, ich werde das nie schaffen. Dann sah er mich fett auf Plakaten an der Litfaßsäule. Er hat mir nie gesagt, dass er etwas gut findet, hat keinen Film von mir gesehen, nichts. Aber wenn ihn bei Hochzeiten oder Festen Leute auf seinen Sohn angesprochen haben, war er schon stolz. Manchmal hat er mit mir geprahlt.

Er konnte es Ihnen aber nicht zeigen.

Nein. Ich komme aus einer traditionellen arabischen Familie und musste meinem Vater erst mal beibringen, dass ich Künstler sein will. Ich hatte schon drei Kinder. Du musst die Kinder ernähren, wo kommt das Geld her?

Wie wichtig ist Ihnen Familie?

Wir wohnen nicht alle in einer Wohnung, aber im gleichen Viertel. Wenn man lachen will oder Probleme hat, trifft man sich. Seit dem Tod meines Vaters ist es ernster geworden. Da muss man der Mama mehr Liebe zeigen.

Noch ein Vorurteil: Ihre Mutter ist bestimmt Hausfrau und kann bis heute kein Deutsch.

Bei uns in der Familie stimmt das nicht. Meine Mutter versteht Deutsch, sie geht immer alleine einkaufen. Mein Vater hat sehr gut Deutsch gesprochen, war Elternsprecher und Präsident von so einem Nachbarschaftsverein, hat Reden auf Deutsch gehalten. Wir sind sehr verwoben mit dem deutschen System.

Sie selbst haben vier Töchter, der erste Sohn ist unterwegs. Wie machen Sie das im Alltag?

Gute Frau.

Was macht sie beruflich?

Sie ist Hausfrau. Ich bin immer wieder unterwegs. Fünf Kinder glücklich zu machen, geht aber nur mit Teamarbeit.

Wenn Ihre älteste Tochter einmal mit einem deutschen Freund nach Hause käme – spielen Sie dann den strengen Migranten-Vater?

Es wäre schön, wenn sie ihren Freund auch heiraten würde und nicht erst mit dem rummacht und dann mit dem nächsten. Die Nationalität ist mir egal. Hauptsache, der Mensch ist gut. Es würde mich trotzdem freuen, wenn sie einen Moslem heiratet, weil ich Moslem bin – auch wenn ich nicht fünfmal am Tag bete. Das kann auch ein Deutscher sein, der zum Islam rübergeht. In dieser Hinsicht bin ich traditionell. Es wär schade, wenn sie mit 15 einen Freund hat. Hoffen wir das mal nicht.

Aber das ist doch völlig normal.

Zu meiner Zeit war das nicht normal. Da hast du mit 18 ne Freundin gehabt, vielleicht mit 17, 16. Aber mit 15? Ich finde das krass.

Haben Sie Ihre erste Freundin geheiratet?

Nein, auf keinen Fall.

Warum soll das Ihre Tochter dann machen?Mein Vater hätte das auch gewollt, dass ich meine erste Freundin heirate.

Aber Sie wollten es nicht. Das war für Sie doch richtig, oder?

Am Ende hab ich mich richtig entschieden. Ohne diese Frau wäre mein Leben kaputt. Sie hält alles zusammen.

Sie heißen Ramadan – wie der Fastenmonat. Wie wichtig ist Religion für Sie?

Mein Bruder heißt Chaaban, das ist der Vorfastenmonat. Religion ist mir wichtig. Mein Vater hat immer gesagt, wenn du ein gutes Herz hast, bist du ein guter Gläubiger. Meine Mutter hat kein Kopftuch getragen, meine Schwester trägt eins. Wenn ich Zeit habe, gehe ich auch mal zum Freitagsgebet. Seit mein Vater gestorben ist, lese ich Suren aus dem Koran für ihn, weil das gut sein soll. Ich esse kein Schweinefleisch, trinke keinen Alkohol. Aber zocken tu ich. Andere machen Bungee-Jumping, ich muss ab und zu mal ins Casino.

Wie frei würden Sie Ihre Kinder entscheiden lassen, ob sie religiös leben wollen oder nicht?

Meine Töchter können machen, was sie wollen. Die essen wahrscheinlich Schweinefleisch in der Schul-Kantine. Ich hab auch Schweinefleisch gegessen, wenn ich damals auf dem Rummel war und die Bockwurst gerochen hab. Das war Hammer. Gänsehaut! In einem Land, das Schweinefleisch so liebt, kommst du nicht drum herum, mal welches zu essen. Ich mache das jetzt seit 20 Jahren nicht mehr.

Viele Deutsche ziehen aus Kreuzberg weg, weil sie keine Lust haben, ihre Kinder auf Schulen zu schicken, wo bis zu 90 Prozent der Kinder aus Migranten-Familien stammen.

Meine Tochter geht in eine Klasse, in der außer ihr kein Deutscher ist, nur Araber, Türken, Jugoslawen und ein Afrikaner. Sie hat ja einen deutschen Pass, also wird sie als deutsch gezählt… Ihre Freunde sind überwiegend türkisch. Meine älteste Tochter spricht jetzt auch schon Türkisch. Sie hat das auf der Straße gelernt, genau wie ich damals.

Ich wollte nicht bei Mercedes oder Siemens arbeiten. Ich wollte KSK, Künstlersozialkasse

Haben Sie darüber nachgedacht, Kreuzberg zu verlassen?

Ich hab mal überlegt, ob wir aus Kreuzberg rausziehen sollten, vielleicht nach Charlottenburg – meinen Töchtern zuliebe. Aber es kommt doch vor allem auf die Erziehung an und nicht auf die Straße. Ich fühl mich hier außerdem so krass wohl, ich kann nicht nicht mehr raus aus diesem Scheiß. Ich gehör zu diesem Scheiß. Obwohl ich schon gern mal mit den Kindern im eigenen Garten spielen würde. Ich bin allerdings definitiv noch nicht so weit, mir eine Villa kaufen zu können. Wenn ich sehe, dass meine Kinder morgens frühstücken und abends gut einschlafen, dann ist das für mich Villa.

Würden Sie sich ändern, um Rollen zu bekommen, die weit weg sind vom Klischee?

Den Charakter ändern???

Nicht den Charakter. Aber das Erscheinungsbild, mal die Zähne machen lassen…

Die Zähne muss ich wirklich mal machen lassen – aber für mich und für meine Frau. Dass ich wieder schön aussehe.

Träumen Sie vom deutschen Filmpreis?

Ich würde so eine krasse Rede halten – die sollten mir besser keine Lola geben. Ich brauche keine Preise. Das ist Fake, das ist Medien. Wenn dir aber jemand auf der Straße für den Film dankt: Das ist wie ein Orgasmus.

Was wünschen Sie sich für Ihre Kinder?

Dass sie ne gute Schulbildung haben, dass sie gesund sind. Und dass sie nicht Schauspieler werden. Es gibt so viele. Das ist schwer, einen Fuß ins Business zu kriegen. Ich kann Gott sei dank davon leben, aber ich kenne viele, die das nicht können. Da braucht man ein zweites Standbein.

Was wäre Ihres?

Außer Gastronomie läuft da nichts. Liegt bei uns im Blut. Mein Bruder hat angefangen, Deutsch auf Lehramt zu studieren. Jetzt steht er in der Pizzeria in der Küche.

Damit die Rolle eines Deutschlehrers tatsächlich einmal mit jemandem wie Ihnen besetzt wird: Was müsste in Deutschland passieren?

Man braucht einen Regisseur, der Eier hat, und eine Produktion, die dahintersteht.

Und in der Gesellschaft?

Da müsste der erste Türke oder Araber Bundeskanzler werden. Dann heißt es vielleicht: Hey, die können doch was.

Interessiert Sie Politik?

Ich kenn nur Angela Merkel. Ich weiß nicht, wer Außenminister ist. Cem Özdemir weiß ich, der ist bei den Grünen jetzt der Chef.

Träumen Sie manchmal von einem ganz anderen Job?

Am allerliebsten würde ich bei Bayern München spielen. Eine Saison und dann nie mehr schauspielern. Das ist die beste Mannschaft der Welt, ohne Scheiß. Das wäre mein Traum, mit Ribery im Mittelfeld.

Bernd Pickert, 44, taz-Redakteur, hat Kida Ramadan beim Boule-Spielen kennengelernt