Dem Volk aufs Maul geschaut

Wie beurteilen die Bürger die Regierung von Jürgen Rüttgers nach einem Jahr im Amt? Vor der Landtagswahl im Mai 2005 befragte die taz sechs NRWler zu ihren Erwartungen. Heute, ein Jahr später, ziehen drei von ihnen Bilanz

HP Fischer ist langzeitarbeitslos. Seit Hartz IV ist er aktiv in Erwerbslosen-Gruppen und bei der Kölner Montagsdemo.

Was besser geworden ist?

Da fällt mir nix ein.

Was schlechter ist als vorher?

Vieles. Ich persönlich habe ab 1. Juli zwar endlich wieder einen Job. Aber es wird eine immer schlechtere Stimmung gegen Arbeitslose verbreitet. Unser Arbeitsminister etwa hat gerade gesagt, die Arbeitslosen müssten alle mal um sieben Uhr antreten, um Bewerbungen zu schreiben. Dann würde man schon sehen, wer wirklich arbeiten wolle. Wir haben das ausprobiert: Die ARGE in Mülheim hat um sieben Uhr noch gar nicht auf.

Was noch auf uns zukommt?

Ich befürchte weitere Kürzungen gerade für die Ärmsten und Schwächsten.

Jakup Tufan ist früh verrenteter Bergbauingenieur. Der türkischstämmige Deutsche ist CDUler in Dinslaken.

Was besser geworden ist?

Wenn ich mir das neueste Info-Blatt der CDU-NRW ansehe, war wohl alles positiv. Auch als CDU-Mitglied kann ich das nicht so sehen. Aber mir gefällt, dass es in Nordrhein-Westfalen jetzt einen Integrationsminister gibt. Herr Laschet muss aber mehr versuchen, Migranten zu beteiligen, sonst klappt Integration nicht.

Was schlechter als vorher ist?

Trotz Wahlversprechen gibt es nicht mehr Arbeit, gerade Migranten leiden immer noch unter einer hohen Arbeitslosigkeit.

Was noch auf uns zukommt?

Ich hoffe, dass bald der Islamunterricht eingeführt wird. Und die Zweisprachigkeit von Migranten muss gefördert werden.

Bernhard Luhmer war als Biolandwirt im Siebengebirge mit der alten rot-grünen Landesregierung sehr zufrieden.

Was besser geworden ist?

Für mich absolut nichts.

Was schlechter als vorher ist?

Für mich als Ökolandwirt sind harte Zeiten angebrochen. Viele Projekte aus dem Agrar-Umwelt-Programm wurden gestrichen: Ich kriege keine Zuschüsse mehr, wenn ich meine Kühe auf Stroh statt auf Gülle halte, obwohl das viel schonender für Tier und Pflanzen ist. Mir fehlen 3.500 Euro im Portemonnaie! Und die Schulpolitik! Es ist haarsträubend, was da abläuft.

Was noch auf uns zukommt?

Das Krisenmanagement wird weiter gehen. Der ökologische Strukturwandel wurde einfach gestoppt, dabei ist er eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Die anderen Drei: Thorsten Schumacher war als Medizin-Unternehmer in Dortmund für den Wechsel, forderte Eigenverantwortung. Franz Münteferings Heuschreckenvergleich machte den damals 30-Jährigen wütend: „Ich fühl‘ mich persönlich angegriffen“. Ob er das immer noch so sieht? Ein Sprecher des Biomedizinzentrums sagte der taz, die Firma sei weg, einer der Geschäftspartner habe eine Einmannfirma in Nürnberg gegründet. Maschinenschlosser Hartmut Braun aus Bochum fertigt Getriebe für Windanlagen bei einem Bergbauzulieferer, wollte sich als SPD-Sympathisant nicht mehr zu Schwarz-Gelb äußern. Genauso hält es Gymnasiallehrerin Susanne Lerch aus Hamm, die kein gutes Haar an der rot-grünen Schulpolitik gelassen hatte. Wie gut ihr die Arbeit von Schulministerin Barbara Sommer gefällt, wissen wir leider auch nicht. Nach den Landtagswahlen wollte sich sich nicht mehr öffentlich äußern. TAZ