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Archiv-Artikel

Kiew tut sich schwer mit der „Causa Timoschenko“

ROLLE RÜCKWÄRTS Vor dem EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft: Merkel hält Assoziierungsabkommen mit der Ukraine für ungewiss. EU fordert Ende politisch motivierter Justiz als Bedingung. Putin will Anschluss der Ukraine an russisch dominierte Zollunion

Beobachter vermuten, dass die Kiewer Kehrtwende dem Druck aus Moskau geschuldet ist

AUS BERLIN BARBARA OERTEL

Die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens der EU mit der Ukraine ist nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiter ungewiss. In einer Regierungserklärung sagte Merkel am Montag im Bundestag: „Es ist nicht abzusehen, ob die Ukraine willens ist, die Voraussetzungen für eine Unterzeichnung zu schaffen.“

Wenige Stunden zuvor hatten die EU-Außenminister bei ihrem Treffen in Brüssel die ukrainische Führung ebenfalls noch einmal davor gewarnt, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens durch Verzögerungen im Fall der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko aufs Spiel zu setzen. „Ein dringlicher Appell an die Ukraine lautet, jetzt zu handeln“, sagte der amtierende Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). „Mit Europa spielt man nicht“, warnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn.

Das Abkommen, das unter anderem einen umfassenden Freihandelsvertrag vorsieht, soll Ende November bei dem EU-Gipfeltreffen zur Östlichen Partnerschaft in der litauischen Hauptstadt Vilnius unterzeichnet werden. Die Voraussetzung dafür sind jedoch Fortschritte in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dazu gehören eine Wahlrechtsreform sowie ein Ende politisch motivierter Justiz, für die stellvertretend der Fall Julia Timoschenko steht. Die mittlerweile schwer erkrankte Oppositionspolitikerin und Intimfeindin von Staatspräsident Wiktor Janukowitsch war im Oktober 2011 wegen Amtsmissbrauchs zu einer siebenjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die EU fordert die Freilassung Timoschenkos, verbunden mit der Möglichkeit einer medizinischen Behandlung im Ausland.

Mit ebenjener „Causa Timoschenko“ tut sich Kiew jedoch schwer. Dem ukrainischen Parlament liegen fünf Entwürfe für ein Gesetz vor, das Verurteilten eine medizinische Behandlung im Ausland erlaubt. In dieser Woche wollen die Abgeordneten erneut über die Vorlagen beraten, nachdem sich das Parlament in der vergangenen Woche in dieser Frage ergebnislos vertagt hatte.

Am Donnerstag hatte Janukowitsch deutlich gemacht, dass ein derartiges Gesetz keine Lex Timoschenko sei, sondern für alle ukrainischen Bürger gelte. Zudem müsse sichergestellt sein, dass ein solches Verfahren nicht dafür ausgenutzt werde, um der Strafe zu entgehen.

Doch nicht nur das Hin und Her im Fall Timoschenko nährt Zweifel, ob die politisch Verantwortlichen in der Ukraine das Abkommen mit der EU noch unterzeichnen wollen. So wurde, ebenfalls in der vergangenen Woche, gegen Timoschenkos Anwalt Sergei Wlassenko ein Strafverfahren wegen Körperverletzung eingeleitet. Angeblich soll er 2009 seine damalige Frau geschlagen haben.

Beobachter vermuten, dass die Kiewer Kehrtwende einem wachsenden Druck aus Moskau geschuldet ist. Es ist kein Geheimnis, dass Russlands Präsident Wladimir Putin das Assoziierungsabkommen verhindern will. Stattdessen soll sich die Ukraine einer von Russland dominierten Zollunion anschließen. In den vergangenen Wochen fanden mehrere Treffen zwischen Putin und Janukowitsch statt, über deren Inhalt öffentlich jedoch nichts bekannt wurde.

Polens Expräsident Alexander Kwasniewski, der mit dem Expräsidenten des EU-Parlaments, Pat Cox, im Auftrag Brüssels den Reformprozess in der Ukraine beobachtet, sieht die Chancen auf eine Unterzeichnung des Abkommens schwinden. „Ich verstehe die ukrainischen Politiker nicht mehr“, zitiert ihn die ukrainische Wochenzeitung Zerkalo Nedeli. „Diese Leute kommen nicht aus einer anderen Welt, sondern von einem anderen Planeten.“