: Auch Churchill hilft nicht
DFB-Elf Die Nationalmannschaft gewinnt schon wieder ein Spiel in Wembley. Dort verneigt man sich vor dem deutschen Fußball und kann das alte Kriegsgeschrei doch nicht lassen
AUS LONDON DANIEL ZYLBERSZTAJN
Und schon wieder hat Deutschland gegen England gewonnen. 1:0 durch ein Kopfballtor von Per Mertesacker. Ein Kopfballtor! War nicht wenigstens das Kopfballspiel die englische Stärke? Englands Coach Roy Hodgson blieb dennoch zuversichtlich. Die beiden Teams seien gleich gut gewesen, sagte er nach der Partie. Wie beinahe immer in den letzten Monaten bat er die Fans um Geduld und erinnerte sie daran, dass man sich ja schließlich für die WM in Brasilien qualifiziert habe. So schlimm könne es also nicht sein. Wenn es im Sommer nicht besser läuft, könnte die Geduld der Fans schnell am Ende sein.
Die Fans. Schon in der U-Bahn auf dem Weg zum Stadion gab es wieder die ganz alten Witze. Haha, die Sympathisanten der BNP (British National Party) seien Anhänger Deutschlands dieser Tage, sind ja auch Nazis. In Wembley vor der Arena ging es genauso weiter. Die richtigen Accessoires für das Match gegen Deutschland wurden da feilgeboten. Konventionelle England- und Deutschlandfahnen, aber auch das Georgskreuz mit dem Konterfei von Winston Churchill. Dazu dessen abgewandelte Worte aus der berühmten Rede vom 4. Juni 1940: „We fought them on the beaches, we will never surrender!“ England gegen Deutschland eben.
In der Presse sichtete man vor der Partie vergeblich nach Weltkriegsmetaphern. An das WM-Finale 1966 wurde erinnert und an die 1:4-Niederlage bei der WM 2010 in Südafrika. Und Angst hatte man vor der Schande von Wembley, davor, zweimal hintereinander im eigenen Haus geschlagen zu werden. Am Freitag hatte Hodgsons Team 0:2 gegen Chile verloren. Eine Doppelpleite hatte es 36 Jahre nicht gegeben. Und eigentlich glaubten fast alle, dass es so kommen würde, wie es gekommen ist – auch wenn die Deutschen nur ein B-Team aufgeboten haben. Voller Bewunderung wurde über die Art gesprochen, wie in Deutschland der Nachwuchs gefördert wird. Und auch die Torwartfrage wurde durchgekaut. Da machte der 33 Jahre alte Roman Weidenfeller sein erstes Länderspiel, und allen war klar, dass dies keine Notlösung war, dass es sich um einen der besten Keeper der Bundesliga handelt. Joe Hart, sein Gegenüber, schien vor dem Spiel nicht nur seinen Stammplatz bei Manchester City, sondern auch sein gesamtes Selbstbewusstsein verloren zu haben.
Vor dem Anpfiff dieses Freundschaftsspiels ist es dann doch noch einmal kriegerisch geworden, 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Zwei enorm große Flaggen,die englische und die deutsche, wurden von Soldaten der britischen Armee auf das Spielfeld gezogen. Die Hymnen wurden durch 27 zeremoniell gekleidete Soldaten der Musikeinheit der britischen Armee gespielt. Etwa 80.000 Fans hofften, dass es Roy Hodgsons Kicker doch irgendwie schaffen würden, und sangen lauthals ihre Hymne.
Es waren eher unkonventionelle Teams, die da aufgelaufen waren. Die Engländer präsentierten sich zwar selbstbewusst und hatten mehr Ballbesitz als die Deutschen, bei denen nach dem Kreuzbandriss von Sami Khedira das Zwillingspaar Lars und Sven Bender das defensive Mittelfeldpaar bildete, so richtig gefährlich waren sie indes nur zweimal – durch Schüsse aus der Distanz. Per Mertesackers Kopfballtor fiel, als die Deutschen gesehen hatten, dass das englische Team keine allzu große Bedrohung darstellen würde an diesem Abend. Es war ein wunderbarer Kopfballtreffer des Verteidigers in Diensten des FC Arsenal. Ein Lichtblick in einer traurigen englischen Mannschaft war immerhin Tottenhams Adros Townsend, der zusammen mit dem redlich ackernden und doch völlig glanzlosen Rooney wenigstens versuchte, die deutsche Abwehr zu beschäftigen. Sein Pfostenschuss in der 57. Minute war das Beste, was das englische Team zustande brachte. Es reichte einfach nicht.
Am Ende kam das kriegerische Geschrei dann von der deutschen Seite in der südöstlichen Ecke des Stadions. „Sieg! Sieg!“, wurde da skandiert. Freudenrufe aus einer düsteren Vergangenheit, die genauso aus dem Vokabular der deutschen Anhängerschar gestrichen gehören wie die englischen Beleidigungen gegen die Deutschen: „Blitz“ und „Krauts“. Schon zehn Minuten vor dem Ende der Partie hatten viele Englandfans genug. In Strömen verließen sie das Stadion. Was stand noch auf den Fahnen, die auf der Weg zur Arena verkauft wurden? „We will never surrender!“