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Archiv-Artikel

„Schulen müssen frei arbeiten“

PRIVATSCHULEN Kurt Wilhelmis Berliner Volksinitiative will mehr Zuschüsse für freie und mehr Freiheit für staatliche Schulen

Kurt Wilhelmi

■ 49, ist Diplompsychologe und Mitarbeiter des „Omnisbus für direkte Demokratie“. Er hat das erfolgreiche Volksbegehren „Faires Wahlrecht für Hamburg“ mitorganisiert.

INTERVIEW CHRISTIAN FÜLLER

taz: Herr Wilhelmi, Sie möchten bessere Schulen in Freiheit und wollen dafür die Stimmen des Volkes. Was ist Ihr Ziel?

Kurt Wilhelmi: Wir wollen eine gesellschaftliche Diskussion über die Frage anstoßen, wie Schule in Zukunft aussehen soll. Dazu sprechen wir selbstverständlich alle an. Denn das ist eine Frage, die wir nicht einfach der Politik und den Politikern überlassen sollten. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Frage – immerhin geht es um die Entwicklung von Kreativität und die Ausbildung von Initiativkraft! Dafür müssen die Schulen frei arbeiten können. Das ist die erste unserer Forderungen.

Was meinen Sie mit frei arbeiten?

Nun, die Schulen sind heute noch fremdbestimmt. Sie erhalten von den staatlichen Gremien Programme und Vorschriften, die sie erfüllen sollen. Sie sind die Umsetzungsorgane einer Vielzahl von Vorgaben, seien es die vielen Rundschreiben der Schulbehörde, seien es die Lehr- und Stundenpläne oder das Beamtenrecht, seien es die Prüfungsordnungen bis in die einzelnen Prüfungsfragen hinein. So können die Lehrer überhaupt nicht frei arbeiten.

Sie übertreiben.

Die meisten von uns haben es doch selbst erlebt. Ich zum Beispiel bin als Schüler überhaupt nicht auf meine Kosten gekommen, das war auf einem Karlsruher Gymnasium. Immer wenn wir ein neues Gebiet anfingen, zum Beispiel in Mathe eine neue Rechenweise oder in Geschichte eine neue Epoche, dann war ich begeistert und voller Vorfreude. Aber schon nach wenigen Unterrichtsstunden war das weg. Ja, ich wusste nicht einmal mehr, was wir da überhaupt machen. Ich hatte keinen Bezug mehr dazu.

Woher kommt diese Lähmung der Staatsschule?

Wahrscheinlich daher, dass die Lehrer lediglich das Programm heruntergespult haben, das in ihrem Lehrplan stand. Die sind überhaupt nicht auf uns Schüler eingegangen – und wir sollten das Programm dann reinspulen. Das geht nicht.

Wie sollen private Schulen da abhelfen?

Auch bei denen gibt es Einschränkungen, in erster Linie bei der Gestaltung der Abschlussprüfungen. Aber im Großen und Ganzen sind sie pädagogisch eigenständiger als die staatlichen Schulen. Das ist wertvoll. Deswegen ist unsere zweite Forderung, dass die Schulen in freier Trägerschaft und die Schulen in staatlicher Trägerschaft gleichberechtigt finanziert werden sollen.

„Freie Schulen und staatliche Schulen sollen gleichberechtigt finanziert werden“

KURT WILHELMI, OMNIBUS

Also mehr Geld für die privaten Schulen?

Ja, damit es keine privaten Schulen mehr sind! Denn dieser Privatcharakter entsteht ja gerade dadurch, dass die Schulen in freier Trägerschaft viel weniger Geld bekommen als die staatlichen Schulen und die Eltern dann aus ihrer Privattasche die Schule mitfinanzieren müssen. Ob sich jemand eine solche Schule leisten kann, ist also Privatsache. Das ist ungerecht und unproduktiv. Durch eine gleichberechtigte öffentliche Finanzierung hingegen würde deutlich, dass die Schulen in freier Trägerschaft genauso öffentliche Schulen sind wie die staatlichen – und zu einem vielfältigen Schulangebot beitragen.

Wollen Sie etwa auch den profitorientierten Schulen mehr Geld geben?

Nein, ich denke, Schulen sollten mit Profit grundsätzlich nichts zu tun haben. Deswegen sagen wir: Öffentlich finanzierte Schulen sollten gemeinnützig verfasst sein. Da gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel eine gemeinnützige GmbH oder eine gemeinnützige Stiftung.

Aber schaden Sie damit nicht den staatlichen Schulen?

Nein, denn solche Möglichkeiten der rechtlichen Selbstständigkeit sollten auch den jetzigen Schulen in staatlicher Trägerschaft zugutekommen. So wie es bei den Kitas in Berlin passiert ist, die in den letzten Jahren in rechtlich selbstständige sogenannte Eigenbetriebe oder in freie Trägerschaft überführt wurden. Das ist nämlich die dritte Forderung der Volksinitiative: dass alle Schulen, die es wollen, organisatorisch selbstständig sein können. So dass sie zum Beispiel die Lehrer selbst einstellen können oder ihre Finanzen selbst verwalten und einsetzen können.

Wie viele Unterschriften brauchen Sie für Ihre Initiative?

Feind Privatschule

■  In Bremen sind es zwei kleine Grundschulen, in Berlin-Kreuzberg ist es eine ganze Reihe von Initiativen – die Schulbehörden nehmen Privatschulen an die Kandare. Denn die trügen zur Sonderung der Schüler nach wirtschaftlichen Verhältnissen bei. Also kann man sie verbieten, lautet der Verweis aufs Grundgesetz. Dort ist aber das Grundrecht auf Schulen in freier Trägerschaft verankert. Und: Privatschulen sind zu 90 Prozent gar keine teuren Profitmacher, sondern konfessionelle (70 Prozent), demokratische, Waldorf- und Reformschulen (20 Prozent).

■  In Bremen blockiert die Schulsenatorin die humanistische und die Freie Schule. In Kreuzberg hat eine grün-rot-rote Koalition eine zweifellos verfassungswidrige „Lex Privatschulen“ verabschiedet: Öffentliche Schulgebäude werden grundsätzlich nicht an Privatschulen vergeben. Die Böll-Stiftung diskutiert das Phänomen Privatschulen.

■  Privatschulen – Chance oder Sargnagel für das Bildungsystem? Mit Margret Rasfeld (Ev. Schule Berlin Zentrum), Özcan Mutlu (Bündnis 90/Grüne) und Christian Füller (taz). 19–22 Uhr, Böll-Stiftung, Berlin http://tiny.cc/boellprivat

20.000 Berliner müssen unterschreiben, aber wir sollten mindestens 25.000 erreichen, denn es gibt ja immer auch ungültige Unterschriften. Bei der Volksinitiative dürfen übrigens alle Einwohner unterschrieben, die ihren Hauptwohnsitz in Berlin haben. Und zwar ab 16 Jahren.

Was sagen Sie dazu, dass kürzlich die FDP die Volksinitiative begrüßt hat?

In unseren vielen Gesprächen in den letzten Monaten mit Menschen, die in Berlin mit Schule zu tun haben, haben wir auch mit Vertretern aller Parteien gesprochen. Und natürlich würden wir uns freuen, wenn alle Parteien mitmachen würden. Aber wir machen es auch ohne die Parteien. Das ist ja das gute an der direkten Demokratie: Es geht um die Sache! Und wir Bürger können selbst dafür aktiv werden. Bis hin zur Entscheidung.

Wollen Sie auch einen Volksentscheid über Ihre Forderungen?

So weit sind wir leider noch nicht. Mit der Volksinitiative wollen wir unsere Ideen zunächst einmal ins Gespräch bringen. Und wenn dabei eine Resonanz entsteht, kann man natürlich darüber nachdenken, ob man mit einem Antrag auf Volksbegehren weitermachen will. Dafür müsste man dann einen Gesetzentwurf ausarbeiten. Aber warum nicht? Wir Berliner haben es in der Hand.

■ Unterschriftenlisten bei Omnibus für direkte Demokratie, Tel. (0 30) 42 80 43 90, www.schule-in-freiheit.de