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Archiv-Artikel

Die Rückkehr der Bildungsversager

BILDUNG Am Donnerstag könnte sich entscheiden, ob aus dem großen Versprechen der Bildungsrepublik noch etwas wird. Es geht um Milliarden

„Ohne Streichungen bei der Bildung lässt sich der Haushalt nicht sanieren“

Der Kieler Bildungsminister de Jager

VON ANNA LEHMANN

Als die ersten Gerüchte aufkamen, war er alarmiert, nach einigen Telefonaten leicht beunruhigt, und jetzt ist er wütend: „Infam“ sei das Vorgehen des Wissenschaftsministeriums, sagt Peter Dominiak. Der Präsident der Universität Lübeck spricht vom Plan, die Medizinerausbildung seiner Universität ab 2011 abzuwickeln. Damit fielen 1.500 von 2.600 Studienplätzen weg. Zurück bliebe eine Uni, fürchtet er, die irgendwann eingeebnet werden würde.

Als Dominiak vor zwei Jahren zum Uni-Präsidenten gewählt wurde, war die Großwetterlage sonnig. 2008 hatte Kanzlerin Angela Merkel die Bildungsrepublik Deutschland ausgerufen und vereinbarte mit den Ministerpräsidenten der sechzehn Bundesländer: wir alle wollen deutlich mehr Geld für Kitas, Schulen und Hochschulen ausgeben. Ziel sollte sein, dass bis 2015 jeder zehnte Euro vom erwirtschafteten Gesamtvermögen in Bildung und Forschung geht.

Am Donnerstag treffen sich Bund und Länder nun schon zum dritten Bildungsgipfel. Zum Zehn-Prozent-Ziel fehlen ihrer Auffassung nach jährlich 13 Milliarden Euro in den Bildungs- und Forschungsetats. Doch inzwischen reden alle vom Sparen. Der Bildungsgipfel droht zu scheitern, weil die Länder das Ziel nicht schaffen können. Sie reagieren höchst unterschiedlich auf die Situation.

1. Die Versager:

Schleswig-Holstein ist gemeinsam mit Hessen bereits aus der Merkel’schen Bildungsrepublik ausgetreten. Am 27. Mai einigten sich die Kultusminister, welche gemeinsamen Bedürfnisse sie bei den Ministerpräsidenten zum Bildungsgipfel anmelden. Vierzehn Länder stimmten für eine Liste mit Vorschlägen, welche unter anderem höhere Bafög-Sätze, zusätzliche Studienplätze, den Ausbau der Kitas und bessere Förderung langsamer Schüler umfasst. Hessens Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) macht nicht mit. Ihre Landesregierung verlangt von den Hochschulen gerade 30 Millionen Euro zurück. Der schleswig-holsteinische Wissenschaftsminister Jost de Jager, ebenfalls CDU, enthielt sich. „Das Zehn-Prozent-Ziel ist bis 2015 nicht zu schaffen“, sagt de Jager. Und sieht sich nicht allein: Diese Überzeugung werde sich auch in anderen Ländern durchsetzen.

Schleswig-Holstein steht bei Banken mit über 25 Milliarden Euro in der Schuld. Die jährlichen Einnahmen betragen nur 9 Milliarden Euro. Deshalb will die schwarz-gelbe Regierung jährlich 120 Millionen Euro einsparen. „Ohne Streichungen, auch bei der Bildung, lässt sich der Haushalt nicht sanieren“, sagt Wissenschaftsminister de Jager mit dem Impetus eines Finanzministers. Lehrerstellen sollen wegfallen, und statt neue Studienplätze zu schaffen, will Schleswig-Holstein zunächst 2.300 streichen. Die Universität Flensburg wird nach dem Sparkonzept auf Wirtschaftswissenschaften verzichten – und Peter Dominiaks Lübecker Uni auf Medizin.

2. Die Schummler:

Obwohl sich die restlichen Bundesländer noch offiziell zum Zehn-Prozent-Ziel bekennen, haben auch dort längst die Haushälter das Sagen und säbeln Spar-Stückchen aus den Bildungsetats. In Brandenburg will die rot-rote Regierung mittelfristig 280 Lehrerstellen streichen. Vor zwei Jahren hatte sich Brandenburg, wie die anderen Länder auch, noch dazu bekannt, solche Ressourcen dazu einzusetzen, die Klassen zu verkleinern.

In Niedersachsen bekennt man sich zwar zu diesem Ziel und will „demografisch bedingt frei werdende Ressourcen zur Verbesserung der Qualität in allen Bildungsbereichen nutzen“. Im Rahmen der Möglichkeiten des Landeshaushaltes, selbstredend. So steht es in einer Vorschlagsliste, die die Länder zusammengetragen haben, um zu illustrieren, wie jedes von ihnen den vereinbarten zehn Prozent gerecht wird. Doch dringt aus dem Umfeld von CDU-Ministerpräsident Christian Wulff schon der kühne Vorschlag, die 100 Millionen Euro, die Studierende jährlich als Studiengebühren zahlen, als öffentliche Investitionen zu deklarieren: „Wir investieren sie ja in die Hochschulen.“ Das brächte Niedersachsen ein paar Prozentpunkte näher an die Zehn-Prozent-Marke, ohne dass man zusätzliches Geld ausgibt. Eigentlich geschummelt.

3. Die Streberin:

Als einzige unter ihren Kollegen hat die Bildungssenatorin Christa Goetsch in Hamburg ein dickes Plus im Etat. Die Grünen-Politikerin darf allein dieses Jahr zusätzliche 22 Millionen Euro ausgeben – für neue Lehrer, kostenlose Schulbücher und besseren Unterricht. Bei einer Schulreform wollte der schwarz-grüne Senat auch die Opposition mit im Boot haben. Das kostete. „Alle Parteien sind sich einig, dass Bildung Schwerpunkt in Hamburg wird“, frohlockt Goetsch über den Hamburger Schulfrieden. Ihre Kollegen im Senat sind neidisch, sie müssen in ihren Ressorts sparen. Der Hamburger Bildungsfrieden ist nämlich hauptsächlich auf Pump finanziert. So ist sich Goetsch mit Kultusministern von CDU und FDP einig: die Länder brauchen mehr Einnahmen, um alle von der Verfassung verlangten Aufgaben zu erfüllen.

Die Finanzminister haben sich bereits geeinigt, wie: der Bund soll den Ländern 2,9 Punkte von der Mehrwertsteuer abgeben, gern mehr. 2,9 Prozent entsprächen genau 5,2 Milliarden Euro und damit dem Anteil an der Gipfelsumme, den der Bund ohnehin zugesagt hat. Bis jetzt sträuben sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Aber bis zum 10. Juni bleibt noch Zeit zum Feilschen. Schließlich kann es sich die Kanzlerin nicht leisten, dass noch andere Länder aus der Bildungsrepublik zurücktreten.