: Man hört die Musik bis nach draußen
SWING SYMPHONY Nach der Uraufführung von Wynton Marsalis’ „Swing Symphony“ durch die Berliner Philharmoniker zieht das Projekt weiter in die Arena, wo es am Wochenende von 170 Schülern vertanzt wird
VON KATHARINA GRANZIN
Ob der kleine Junge, der seine ständig rutschende Turnhose linksherum angezogen hat, weiß, dass er in ein paar Tagen mit weltberühmten Musikern zusammen auftreten wird? Ob das Mädchen, das sich mürrisch auf den Boden hat plumpsen lassen, während alle anderen Kinder diszipliniert in der Formation ausharren, dann wohl bessere Laune hat?
Am Samstag wird die erste Aufführung der „Swing Symphony“ mit allen Mitwirkenden sein, und an diesem Montag, dem ersten Tag einer langen Probenwoche, kann man in der Treptower Arena eine Ahnung davon bekommen, was es bedeutet, 170 jugendliche Tänzer bei der Stange zu halten. Das diesjährige Tanzprojekt, das der Australier Rhys Martin choreografisch betreut, ist etwas sehr Besonderes, denn die Musik entsteht erst parallel zu den Proben. Wynton Marsalis und Simon Rattle hatten bereits vor fünfzehn Jahren, „da waren meine Haare noch schwarz“, scherzt Rattle beim Pressegespräch am Tag des Konzerts in der Philharmonie, über ein gemeinsames Projekt gesprochen.
Sind die Tempi richtig?
In der Zwischenzeit ist Marsalis schon einmal mit den Philharmonikern zusammen aufgetreten, 2001, noch unter Claudio Abbado, und auch damals spielte das Orchester seine Kompositionen. Dieses Mal aber erlebt das Berliner Publikum eine veritable Uraufführung. Frischer könnte sie kaum sein, denn erst zwei Tage vor dem Konzert ist die Orchestrierung der letzten drei Sätze fertig. In den Tagen danach, erzählt Rattle, habe Marsalis noch ständig Änderungen an Instrumentierung und Tempi vorgenommen, und nun habe er selbst keine Ahnung, ob er am Abend in der Lage sein werde, alle Tempi richtig zu geben. Marsalis lächelt milde und erklärt, die Orchestermusiker seien sehr entgegenkommend gewesen.
Beide wirken erstaunlich entspannt. Während der Uraufführung am Mittwochabend ist nicht zu merken, was für eine Punktlandung alle Beteiligten hinlegen mussten, so viel Spaß haben die Musiker ganz offensichtlich. Marsalis, der Jazztraditionalist, hat eine Geschichte des alten Jazz komponiert. Swing, Bebop und andere tanzbare Stilrichtungen kommen zu Ehren, darunter auch der New Orleans March, eine Musik, die Marsalis schon als Kind spielte, und auch wenn er heute sagt, das sei nicht so seins gewesen, hat sie ihn doch geprägt.
Die fantastischen Bläser des Jazz at Lincoln Center Orchestra, dem Marsalis vorsteht und das er nach Berlin mitgebracht hat, kosten hörbar die Akustik des philharmonischen Saals aus – wahrscheinlich hört man die Musik bis nach draußen –, und die Philharmoniker werfen sich mit Verve in die Rolle der Super-Bigband. Manche Instrumentengruppen erfahren ungewohnte Aufwertung. Blechbläser und Schlagzeuger haben unablässig zu tun. Die Herren und die Dame an den Kontrabässen, denen sonst der eher stoische Part zukommt, dürfen heute mit beglückend anzusehender Leidenschaft am Werk sein, während die übrigen Streicher diesmal nur die zweite Geige spielen, das aber umso beschwingter. Auch das Abonnentenpublikum kann nicht anders, als sich mitreißen zu lassen – es wird sogar zwischen den Sätzen geklatscht.
Am Schluss tosen die Ovationen. Lächelnde Menschen verlassen den Konzertsaal. Sehr schön ist das. Dabei fehlte das Wichtigste immer noch, denn diese Marsalis-Musik ist eine, die getanzt werden will. Und am Wochenende in der Arena sind es nicht die beiden Orchester, die im Mittelpunkt stehen werden, sondern die Tänzer. Sie werden hinreißend sein, die vielen jungen Hüpfer. Schon die erste Durchlaufprobe am Montag hat sehr ordentlich geklappt.
■ „Swing Symphony“-Tanzprojekt in der Arena Treptow: 12. 6. und 13. 6., um 19.30 Uhr