: Die letzte Klappe fällt in meiner Eckkneipe
Berlin ist eine Filmkulisse. Aber darf man deshalb bei Dreharbeiten aus dem eigenen Leben ausgesperrt werden?
Neben dem Straßencafé an der Ecke wird offenbar gefilmt. Zwischen Scheinwerfern und gemieteten Lkws sitzt die junge Crew an langen Biertischen und stopft sich das professionelle Catering von „Movie-Mampf“ oder „Spachtel-Set“ in die wichtigen Rüsselchen. Neugierig unterbreche ich meinen Spaziergang und setze mich in einen der bequem aussehenden Korbstühle vor dem Café.
Ich packe ein paar Arbeitsunterlagen auf den Tisch – solange die essen, gibt es ja nicht viel zu gucken. Linker Hand sitzt ein schweigsames Pärchen seltsam starr vor unergründlichen Modegetränken, zu meiner Rechten eine Frau ohne Getränk, doch dafür mit Stöpsel im Ohr. Die wartet wohl auch auf die Bedienung. Aber keiner kommt. Eine Weile lang beschäftige ich mich deshalb damit zuzusehen, wie der Wind an meinen Zetteln zerrt und sie schließlich davonträgt, zu fluchen, den Zetteln hinterherzurennen, sie wieder einzusammeln und zurück auf den Tisch zu legen. Dann das Ganze noch einmal von vorn. Keiner kommt.
Langsam wird mir das Zettelspiel langweilig. Warum kommt keiner? Ich blicke mich um: Das Pärchen schweigt sich noch immer an – auch hat es seine Getränke nicht angerührt. Vielleicht weil sie wissen, wie lange der Nachschub dauert. Café Engel steht groß und deutlich an der Schaufensterscheibe. Früher war in diesem Lokal lange ein guter Grieche untergebracht, danach kurz ein schlechter und zuletzt ein Café. Aber merkwürdig: An den Namen Café Engel kann ich mich überhaupt nicht erinnern.
Endlich kommt jemand. Er saß zuvor bei den Filmleuten und hat sogar zwei Stöpsel im Ohr. Er muss also wichtig sein. Noch ehe ich meine Bestellung bei ihm aufgeben kann, fragt er mich: „Bist du ein Komparse von uns?“ Ich verneine. „Dann kann es sein, dass wir dich später wegschicken müssen.“ Wegschicken? Frechheit! Ich bin baff. Er bemerkt es und erklärt: „Jetzt haben wir noch Mittagspause, aber wenn wir nachher weiterdrehen, musst du leider weg.“
Ich muss leider weg. Ganz lapidar. Aus einem öffentlichen Café. So fängt es an. Irgendwann muss ich dann weg aus der Wohnung, weg aus der Stadt, weg aus dem Leben. „Aber ich kann mich doch an einen anderen Tisch setzen?“ „Was soll das bringen“, hebt er resignierend die Schultern, „da wirst du auch nicht bedient.“ „Wieso? Heißt das, das ist hier gar kein richtiges Café, beziehungsweise es hat nicht geöffnet?“ „Richtig – das haben alles wir eingerichtet.“
Ich stehe auf. Seltsam starr sitzt das Paar, doch weiter drüben grienen die Rüsselchen. Seit einer halben Stunde versüßen sie sich ihre Mittagspause damit, mich dabei zu beobachten, wie ich vor der Attrappe eines Straßencafés ahnungslos auf die Bedienung warte – nun bricht sich Heiterkeit Bahn. Ha, ha, ha! Arschgeigen! Diese ganze verfickte Scheißstadt scheint nur noch ein einzige verfickte Scheißfilmkulisse zu sein! Und wer nicht mindestens Komparse ist, spielt nicht mehr mit. Zum Nachtisch serviere ich den Biertischen Stinkefinger an beleidigter Leberwurst. Und schöne Grüße an „Movie-Mampf“!
Auf dem Heimweg sehe ich die Stadt auf einmal mit anderen Augen. Vorbei am Urban-Krankenhaus mit seinen blass geschminkten Patientendarstellern, vorbei am Taxistand, wo müde Komparsen sehnsuchtsvoll auf den Drehschluss warten. Vorbei an falschen Zeitungskiosken und Imbissbuden mit Plastikdönern und getürkten Verkäufern, an Kundenkomparsen und Säuferstatisten. Sie alle agieren eigenartig blutleer – es sind nun mal keine richtigen Schauspieler. Dann muss ich doch kurz lachen über diesen albernen Tagtraum.
Als ich später versuche, meine Wohnungstür aufzuschließen, lache ich allerdings nicht mehr: Der Location Scout hat das Schloss ausgetauscht. Nach langem Klingeln öffnet endlich der Regisseur. „Ein geiles Objekt“, schwärmt er auf meine Nachfrage hin, „authentisch abgewrackt“ – sie drehen hier „Knallhart II“. Er stutzt: „Bist du ein Komparse von uns?“ – „Ja“, behaupte ich, aus Schaden klug geworden, „was muss ich machen?“
ULI HANNEMANN