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Archiv-Artikel

„Die Arbeitszeit sollte weiter sinken“

VW sollte nicht zur 35-Stunden-Woche zurückkehren, rät Arbeitszeitforscher Volker Hielscher. Dieser „plumpe Ansatz“ würde den Absatz nicht steigern. VW habe weniger ein Problem mit den Kosten als mit seinen Autos. Vor allem in der Oberklasse

INTERVIEW STEPHAN KOSCH

taz: Herr Hielscher, das VW-Management will die 28,8-Stunden-Woche aufgeben und zur 35-Stunden-Woche zurückkehren. Wird das die Probleme bei VW lösen?

Volker Hielscher: Nein, das wäre nicht nur ein gesellschaftlicher, sondern auch ein ökonomischer Rückschritt. Die Mitarbeiter haben 1993 auf 16 Prozent Lohn verzichtet, die Arbeitszeit wurde um 20 Prozent gekürzt. Mit der Vier-Tage-Woche wurde eine Absatzkrise gemeistert und Massenentlassungen verhindert.

Darum geht es heute auch.

Stimmt, der Kontext war ähnlich. Bundeskanzler Kohl sprach vom Freizeitpark Deutschland, überall wurden längere Arbeitszeiten gefordert. VW hat aber Arbeit und Einkommen umverteilt – ein neuer Ansatz, der zum Vorbild für andere Branchen wurde. Denn schließlich wurden nicht nur tausende Arbeitsplätze gerettet; VW konnte sein Personal nun sehr flexibel einsetzen. Deswegen wurde die Vier-Tage-Woche bei VW dann auch von einem anfänglichen Versuchsmodell zu einem dauerhaften Tarifvertrag

Hat aber nichts genützt. VW ist in der Krise und produziert teurer als die Konkurrenten. Jetzt muss man nachholen, was damals versäumt wurde – nämlich Personal abbauen.

Wenn man damals Stellen gestrichen hätte, wären die Kosten heute nicht unbedingt geringer. Immerhin haben die Mitarbeiter ja real auf Lohn verzichtet, dafür aber auch weniger gearbeitet. Im Prinzip blieb das Niveau also erhalten. Jetzt sollen die Löhne tatsächlich gesenkt werden.

Weil in Osteuropa und China länger gearbeitet und weniger verdient wird. Da kann sich VW den Luxus von kürzeren Arbeitszeiten nicht mehr leisten.

Arbeitszeitverkürzungen sind kein Luxus, sondern angesichts der Arbeitslosenzahlen eine Notwendigkeit. Die gesellschaftspolitische Frage ist doch: Wie gewährleisten wir ein existenzsicherndes Arbeitseinkommen und stellen gleichzeitig die Lebensqualität für alle sicher? Längere Arbeitszeiten lösen diesen Konflikt nicht. Übrigens auch nicht die Probleme bei VW.

Warum nicht? VW hat doch ein Kostenproblem.

VW leidet vor allem an den Folgen der Produktpolitik der vergangen Jahre mit dem gescheiterten Ausflug in die Oberklasse. Das VW-Management reagiert darauf, indem es in den Wettlauf um Lohnsenkungen eintritt – aber der ist nicht zu gewinnen. China und Osteuropa bleiben noch lange Zeit billiger.

Was würden Sie dem VW-Vorstand also raten?

Das Kostenproblem ist durch eine intelligente Produktivitätspolitik eher und mit weniger Konflikten zu bewältigen. Der Kern des bestehenden Tarifvertrages ist doch, Arbeit und Einkommen solidarisch zu teilen. Daran sollte VW festhalten und ihn zum Leitgedanken machen, wie sich die Absatzkrise bewältigen lässt. VW hat eine Vorbildfunktion für das industrielle Modell in Deutschland.

Das bedeutet: noch weniger arbeiten und dafür wieder auf Lohn verzichten?

Das wäre zumindest ein weniger plumper Ansatz als die Forderung nach Arbeitszeitverlängerung – auch wenn es für viele Mitarbeiter an Grenzen stößt, Arbeitszeit und Einkommen noch weiter abzusenken. Aber eine Arbeitszeitverlängerung macht ökonomisch bei einer Absatzkrise keinen Sinn. Wer mehr Autos baut, verkauft deshalb nicht unbedingt mehr.