Ehrenrunde für Turboabi

Die Einführung des zwölfjährigen Abiturs stößt auf grüne Kritik: Es drohten mehr Sitzenbleiber. Im Schulministerium ist man verwundert: Die Grünen haben das Turboabi selbst mit beschlossen

VON NATALIE WIESMANN

Das Abitur in zwölf Jahren wird mehr Sitzenbleiber produzieren, fürchten die Grünen. „Der Auslesedruck an den Gymnasien wird steigen“, sagte gestern die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Sylvia Löhrmann – drei Tage vor Verabschiedung des neuen NRW-Schulgesetzes. Dadurch dass der gleiche Stoff in kürzerer Zeit erlernt werden müsse, so Löhrmann, würden „mehr Kinder scheitern“.

Bei Amtsantritt hatte die Landesschulministerin Barbara Sommer (CDU) angekündigt, die Sitzenbleiberquote bis zum Ende der Legislaturperiode auf 1,5 Prozent zu halbieren. Im vergangenen Schuljahr lag die Zahl der SchülerInnen in NRW, die eine Klasse wiederholen müssen, bei rund 60.000 – eine Quote von 3 Prozent.

„Das Sitzenbleiben wird sich noch verstärken“, glaubt Sigrid Beer, bildungspolitische Sprecherin der grünen Fraktion. Außerdem würde die Abitursverkürzung dazu führen, dass noch mehr als bisher sozial selektiert werde. „Es wird einen erhöhten Bedarf an Nachhilfe geben“, prognostiziert Beer. Und den könnten sich nur besser verdienende Eltern leisten.

Unterstützung bekommen die Grünen vom Verband Bildung und Erziehung. Die von der Landesregierung propagierte größere Durchlässigkeit des Schulsystems werde nicht erreicht, sagte Landesvorsitzender Udo Beckmann. Das Gymnasium werde von den anderen Schulen noch stärker abgekoppelt.

Für Peter Silbernagel, Vorsitzender des Philologenverband NRW, kommt die Kritik der Grünen überraschend: „Die rot-grüne Regierung hat die Schulzeitverkürzung in ihrer Amtszeit verabschiedet.“, sagte er. Genauso wundert man sich im unionsgeführten Schulministerium über die Schelte aus den Reihen der Opposition: „Das ist damals relativ geräuschlos von allen Parteien entschieden worden“, so Sprecher Andrej Priboschek.

Es sei außerdem falsch, dass beim Abitur in zwölf Jahren der gleiche Stoff in kürzerer Zeit gelernt werden müsse. „Das geht natürlich nicht.“ Außerdem seien fünf Wochenstunden für die individuelle Förderung angesetzt worden, so Priboschek, „und man darf nicht vergessen, dass wir 4.000 neue Lehrer dafür einstellen“.

Doch das scheint die Skeptiker nicht zu beruhigen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erklärte, die Zahl der Sitzenbleiber lasse sich nur verringern, wenn die Schulen die dafür nötigen Mittel erhielten. „Die von Sommer geplante Halbierung gibt es nicht zum Nulltarif, so die stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Renate Boese. Sie schlägt vor, die für jeden Wiederholer anfallenden Kosten von 4.800 Euro gezielt in Fördermaßnahmen zu investieren. Bis 2010 könnten so 144 Millionen Euro für 3.600 zusätzliche Lehrerstelle mobilisiert werden.