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Archiv-Artikel

„O2-World“ fordert Widerstand heraus

In bester linker Tradition greifen die OrganisatorInnen des alternativen CSD die großen Bauvorhaben in Kreuzberg und Friedrichshain heraus. So wird die Demoroute zum Marsch gegen die Umstrukturierung. Nur mit welchem Erfolg?

Wie so oft ist alles eine Frage der Perspektive. Das gilt nicht nur für den „großen“ oder den „kleinen“ Christopher Street Day. Es gilt auch für die Frage, wie sich Kreuzberg und Friedrichshain entwickeln, und welche Rolle dabei die wenigen Großinvestitionen im Bezirk spielen.

In guter linksradikaler Tradition haben die Organisatorinnen der alternativen Schwulen- und Lesbenparade ihre Route an den vermeintlichen Skandalprojekten im Bezirk ausgerichtet. In dieser Lesart stehen MTV und Universal für die Umstrukturierung des Szeneviertels in einen durchökonomisierten Gute-Laune-Bezirk für die Besserverdienenden. Gegen diese Lesart spricht vieles, unter anderem die Tatsache, dass sich Berlin Investitionen dieser Größenordnung nicht gerade aussuchen kann.

Einiges aber spricht auch dafür. Vor allem der Spreeraum zwischen Kreuzberg, Friedrichshain und Treptow war in der Vergangenheit ein Ort, an dem sich nichtkommerzielle Unternehmungen zurückgezogen und festgesetzt haben. Alternative Wagenburgen, illegale Bars, kleine Idyllen, aus denen noch keine Strandbars geworden sind – das war neben Arena, Badeschiff und Freischwimmer der Beweis dafür, dass Kreuzberg und Friedrichshain noch immer Viertel sind, in denen die Uhren anders schlagen.

Oder besser: geschlagen haben. Denn auch der Spreeraum blieb nicht verschont vom Umkrempeln der Szenequartiere, und wie so oft waren die Pioniere am Spreeufer die Trüffelschweine, denen alsbald die Dienstleistungsgesellschafter folgten. Den Anfang machte der Osthafen, an der Andreasbrücke war es Ver.di und bald schon werden es Projekte wie „Niketown“ in der Falckensteinstraße sein.

Lässt sich über diese Vorhaben, wie gesagt, noch streiten, sprengt ein anderes tatsächlich alle Dimensionen. 17.000 Plätze soll die Arena haben, für die nördlich der Mühlenstraße gerade das Baufeld bereitet wird. Schon der Name des Großprojekts lässt sich kaum in Verbindung mit einer „behutsamen“ Entwicklung des Spreeraums bringen. „O2-World“ wird die Halle heißen. Wie es heißt, hat der Mobilfunkbetreiber einen dreistelligen Millionenbetrag dafür bezahlt, dass sein Logo auf dem Hallendach prangt – und der Investor, die amerikanische „Anschutz Entertainment Group“, hat seinen Reibach gemacht. Dumm nur, dass der Senat für die Erschließung des Geländes 80 Prozent der 15,6 Millionen Euro beisteuerte. So bekommt die magische Beschwörungsformel „Public-Private Partnership“ tatsächlich den miesen Beigeschmack, den die Kritiker immer wieder bemängeln: Verluste werden sozialisiert, Gewinne privatisiert.

Doch nicht nur in öffentliche Kassen greift die „O2-World“, sondern auch in den Stadtraum, wie die Organisatoren des linken CSD monieren. „Zwei neue Brücken sollen gebaut und die East-Side-Gallery versetzt werden, damit die Halle von der Spree aus erreichbar ist. Die Manteuffelstraße wird zur Durchfahrtsstraße“, heißt es in einem Flugblatt mit der Überschrift „Kein Disney in Kreuzberg“.

Kommt zu alldem noch das Riesenrad dazu, das neben der Anschutz-Arena gebaut werden soll, ist es mit der Spreeidylle in Kreuzberg und Friedrichshain endgültig vorbei. Nicht nur für die Teilnehmer des linken CSD mag das eine nicht gerade freudige Aussicht sein, sondern auch für manchen, der im Osthafen bei MTV oder Universal arbeitet.

Wie gesagt, alles ist eine Frage der Perspektive. Dazu gehört auch die Feststellung, dass die vielzitierte Umstrukturierung oft nur noch als Naturgewalt empfunden wird, der man nichts entgegensetzen kann. Das wird auch der Kreuzberger CSD nicht ändern. Er wird es aber zumindest versucht haben. UWE RADA